Das unkalkulierbare Risiko
02.06.16 (Kommentar, Stuttgart) Autor:Stefan Hennigfeld
Es war ja 2010 schon abzusehen, dass Stuttgart 21 deutlich teurer wird als vorhergesagt. 2010 ist ein entscheidendes Jahr, denn damals eskalierte der Bürgerprotest erheblich. Trauriger Höhepunkt war der schwarze Freitag, am 30. September, als es im Schlossgarten zu schwerer Polizeigewalt kam. Die Gewerkschaft der Polizei hat seinerzeit der damals noch schwarz-gelben Landesregierung einen schweren Missbrauch des Polizeiapparates vorgeworfen.
Man hat Wasserwerfer gegen friedliche Demonstranten eingesetzt und das obwohl alle wussten: Hier sind nicht, wie am 1. Mai in Kreuzberg, gewaltbereite Linksradikale, sondern das sind größtenteils CDU-Wähler, denen erst jetzt klar wurde, was Stuttgart 21 mit dem Bild ihrer Stadt eigentlich macht. Jahre später ist der Protest größtenteils verstummt, aber die Befürchtungen wurden wahr.
Die Kosten steigen ins unermessliche. Gerade wenn man bedenkt, dass sich Stuttgart 21 anfangs aus den Verkaufserlösen der lukrativen Innenstadt-Liegenschaften selbst finanzieren sollte, ist die Entwicklung brisant. Und beim VCD deutet man die Zeichen der Zeit richtig: Jetzt wo bekannt ist, dass es der engste Kreis im Bundeskanzleramt war, der Stuttgart 21 trotz gigantischer und nur schwer bis gar nicht kalkulierbarer Risiken um jeden Preis durchsetzen wollte, muss dieser auch die finanzielle Verantwortung übernehmen.
Und das nicht auf Kosten der Regionalisierungsgelder für Baden-Württemberg oder sonst etwas, sondern vollständig aus dem eigenen Haushalt. Wobei: Schon die Frage nach dem Nutzen des Projektes brachte die ja die aus anderen Bundesländern vortrefflich bekannte Diskussion ans Licht, wie denn die mit der teuren Infrastruktur zusätzlich möglichen Zugleistungen finanziert werden sollen.
Damals hieß es, das könnte das Land aus den Regionalisierungsgeldern tun, weil man Ausschreibungsersparnisse realisieren würde. Nachdem die Regionalisierungsgelder erheblich gestiegen und die Ausschreibungsersparnisse nochmal größer als gedacht waren, mag das sein. Aber der Preis für das Projekt, den muss Berlin zahlen. Jetzt können die einstigen Grünen Widerständler Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Verkehrsminister Winfried Hermann zeigen, ob sie Wort halten.
In der letzten Legislaturperiode hieß es stets, dass die Landesregierung keinen Pfennig mehr zu zahlen bereit ist, als in der ursprünglichen Finanzierungsvereinbarung geplant. Risiken müssen Bund und Bahn tragen. Das Problem ist: Wenn mit den gestiegenen Kosten auch für die DB AG nach der Fertigstellung höhere Abschreibungen folgen, dann führt das zu höheren Trassenpreisen, die jedoch größtenteils durch Regionalzüge – also durch das Land – finanziert werden müssen.
Das wird sich auch nach der Einführung des neuen Eisenbahnregulierungsgesetzes nicht ändern. Denn die Abschreibungen sind real vorhanden, wenn auch vom Bund und dem Bundesunternehmen DB AG selbst verursacht. Deswegen ist es notwendig, dass hier Sondermittel des Bundes fließen, die verhindern, dass das dicke Ende nach der Fertigstellung kommt. Ob das passieren wird? Abwarten!
Siehe auch: Neue Diskussion um Stuttgart 21