Vorfahrt für die Sicherheit
04.04.16 (Bayern, Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Das ist der größte Albtraum eines jeden Triebfahrzeugführers: Man fährt auf einer eingleisigen Strecke und auf einmal kommt einem ein anderer Zug entgegen. Züge fahren nun einmal nicht auf Sicht, also haben sie üblicherweise keine Chance, rechtzeitig zu bremsen und da der Triebfahrzeugführer keinen Schleudersitz hat, ist er in der Regel das erste Opfer solcher Unfälle.
Als es in Hordorf in Sachsen-Anhalt 2011 zu einem Frontalzusammenstoß zwischen einem SPNV-Triebzug und einem schweren Güterzug kam, war die Unfallursache schnell geklärt: Ein Zug hat ein Halt zeigendes Signal überfahren und weil die Strecke technisch nicht gesichert war, erfolgte keine Zwangsbremsung. Also fuhr der Zug einfach weiter.
Besonders brisant war damals, dass die Deutsche Bahn wenige Monate vorher – im Oktober 2010, anlässlich des zwanzigsten Jahrestages der deutschen Einheit – eine Pressemeldung herausgegeben hat, wonach sämtliche „investiven Altlasten“ der alten DDR-Reichsbahn beseitigt seien. Das Eisenbahnnetz in Ost- und Mitteldeutschland, so hieß es, sei auf einem modernen Stand der Technik. Das war zumindest bei dieser Strecke nicht der Fall.
In Bad Aibling ist das anders gewesen: Natürlich war die Strecke technisch gesichert. Dass ein Zug per Ersatzsignal fuhr, weil die Fahrstraße von der anderen Seite bereits geschaltet war, mag ja den Betriebsablauf etwas beschleunigen, ist jedoch trotzdem völlig inakzeptabel. Selbst dann, wenn es in 99 von 100 Fällen gut geht.
Selbstverständlich geht die Sicherheit vor und muss im Zweifel auch auf Kosten des Fahrplans eingehalten werden. Trotzdem hat die GDL mit ihrer Forderung recht: Situationen, in denen die Mitarbeiter unter Stress stehen, müssen regelmäßig geübt werden. Natürlich kann man die emotionale Situation eines Fahrdienstleiters nicht künstlich erzeugen, die entsteht, wenn er realisiert, dass hier zwei Züge auf Konfrontationskurs sind. Aber es gilt, selbst für solche Fälle eine gewisse Routine zu haben.
Die jetzt offensichtlich bekannten Ermittlungsergebnisse zeigen, dass es auch richtig ist, kurz nach so einem Unfall einfach mal die Arbeiten abzuwarten. Wenn ein unerträglicher Wichtigtuer wie Karl-Dieter Bodack bereits am Abend des Unfalls darüber schwadroniert, dass es gar keine andere Erklärung geben könne als eine kriminelle Handlung, dann ist das nicht nur pietätlos, sondern zeugt von bedenklicher Selbstüberschätzung. Das gilt aber auch für die Medien: Wenn seriöse Leute sich nicht äußern wollen, hat es einen guten Grund. Dann braucht man stattdessen nicht Karl-Dieter Bodack auszugraben, weil ansonsten keiner bereit ist, sich eine Erklärung anzumaßen.
So ein Unfall macht tief betroffen und zeigt, wie wichtig technische Zugsicherung ist und ebenso dass Hilfshandlungen, die diese technische Sicherung außer Kraft setzen, nur für Notfälle gedacht sind. Fahrten mit Ersatzsignalen und Fahrstraßen in belegte Blöcke zu schalten, damit das Anfahren schneller geht, ist riskant – und kann tödlich enden. Wenn die Infrastruktur den Fahrplan nicht gewährleisten kann, dann muss diese ertüchtigt werden. Aber die Sicherheit geht in jedem Fall vor.
Siehe auch Bad Aibling: Unfallursache offenbar geklärt