Die Asylkrise in der Verkehrspolitik
07.04.16 (go.Rheinland, Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Dass Urbanisierung ein von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung relevantes Thema ist, ist nichts neues und man kann es im VRS-Verbundgebiet sehr gut beobachten. Die Schülerzahlen sind ein eindeutiges Indiz: Während man in Köln und Bonn in Zukunft mehr Schulplätze schaffen muss, geht es im Umland zum Teil erheblich zurück. So sollen die Schülerzahlen etwa im Rheinisch-Bergischen Kreis zwischen 2010 und 2019 um bis zu 25 Prozent sinken.
Das hat Auswirkungen auf den ÖPNV: Während man in den Städten gar nicht genug Verkehr anbieten kann, braucht man in der Fläche mit immer weniger Menschen noch immer ein Grundangebot; gerade auch weil die Senioren von morgen viel häufiger über Auto und Führerschein verfügen als es noch vor ein paar Jahren der Fall war. Entsprechend muss also politisch reagieren: Es ist wichtig, die Infrastruktur auszubauen und leistungsfähig zu machen.
Und dann muss man sich überlegen, ob die aktuelle Asylkrise nicht auch Chancen bietet, bei gewissen Entwicklungen gegenzusteuern: Müssen oder können denn die eine Millionen Menschen, die letztes Jahr vor Krieg, Gewalt und Verfolgung hier bei uns Zuflucht gesucht haben zwingend in den Ballungsräumen bleiben? Sorgen wir damit nicht gleich für die nächsten Parallelgesellschaften und schaffen Ghettobildung? Gerade die Ansiedlung von Familien mit Kindern in Städten und Kreisen mit alternder und schrumpfender Bevölkerung kann ein Mittel zur Steuerung demographischen Entwicklung sein.
Entsprechend würde dann auch der Schülerverkehr nicht so einbrechen, während die Ballung zumindest nicht ganz so stark unter Druck stünde. Übrigens, selbstverständlich kann man Asylberechtigte mit politischen Mitteln einem Wohnort zuweisen. Das haben wir sogar früher schon gemacht: Das Wohnortzuweisungsgesetz, das bis Ende 2009 gegolten hat, bezog sich seinerzeit auf Aussiedler und Spätaussiedler. Das waren deutsche Staatsbürger und trotzdem bekamen sie nur den Städten oder Kreisen, denen sie zugewiesen waren, ihre Sozialhilfe.
Mit ähnlichen Mitteln kann man das auch bei Asylberechtigten machen und somit Steuerungseffekte erwirken. Aber Stichwort Sozialhilfe: Der massive Anstieg von Fahrten mit Sozialtickets, den der VRS im letzten Jahr verzeichnet hat, ist sehr wahrscheinlich auch ursächlich mit der hohen Zahl an Asylbewerbern zu begründen. Wo sollen die vielen neuen Kunden denn auch sonst herkommen? Aus dem Barsegment? Das könnte sein, aber dann müssten dort die Zahlen rückläufig sein, was jedoch nicht der Fall ist.
Die Annahme, dass viele Asylbewerber in den ersten Tagen und Wochen in Deutschland mit Einzelfahrscheinen unterwegs waren und später auf ein Sozialticket umgestiegen sind, ist plausibel. Wer Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezieht, ist generell anspruchsberechtigt, ein Sozialticket zu erwerben. Wenn es künftig deutlich mehr Fahrten mit dem Sozialticket gibt, bleiben zwei Handlungsoptionen: Entweder, die rot-grüne Landesregierung gibt mehr Geld zur Kofinanzierung oder es wird teurer. Auch das ist ein politischer Gestaltungsauftrag, der über „Wir schaffen das“ hinausgeht.
Siehe auch: NVR und VRS: Rückblick auf 2015