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NVR gibt pilotweise erste Klasse frei

24.09.15 (go.Rheinland) Autor:Stefan Hennigfeld

Im Rahmen eines Pilotprojektes hat man sich beim Kölner Aufgabenträger Nahverkehr Rheinland entschlossen, in den Linien S12, S13 und S19, also die, die Richtung Troisdorf und Hennef fahren, die erste Klasse freizugeben. Der NVR-Hauptausschuss hat in seiner letzten Sitzung grünes Licht für eine einjährige Testphase ab dem Fahrplanwechsel Mitte Dezember gegeben. Diese Empfehlung muss jedoch noch von der NVR-Verbandsversammlung am 2. Oktober bestätigt werden.

Die S-Bahn Köln erlebt in den vergangenen Jahren einen jährlichen Fahrgastzuwachs von rund fünf Prozent. Dies hat zur Folge, dass die Kapazitäten im morgendlichen und abendlichen Berufsverkehr nicht mehr ausreichen. Alleine im Kölner Hauptbahnhof steigen täglich fast 60.000 Fahrgäste in die S-Bahnlinien ein und aus. Durch das prog-nostizierte Bevölkerungswachstum ist weiterhin mit einer steigenden Nachfrage zu rechnen. Der Einsatz von Fahrzeugen mit höherer Kapazität ist jedoch erst nach Auslaufen des aktuellen Verkehrsvertrages im Jahr 2023 möglich.

Zudem verhindert die überlastete Infrastruktur eine weitere Taktverdichtung. Dabei hat man bereits zusätzliche Züge bestellt und zum Beispiel die Linie S19 neu eingeführt. Insbesondere im Zulauf auf Hennef und Troisdorf ist die Nachfrage deutlich höher als vor ein paar Jahren erwartet. Weil man bei der damaligen Neuvergabe der Linie RE 9, die im Jahr 2007 mit Betriebsaufnahme im Dezember 2010 geplant wurde, von deutlich geringeren Fahrgastmengen ausgegangen ist, musste mit S-Bahnen gegengesteuert werden.

Insgesamt ist der Zulauf auf Köln erheblich: Nicht nur, dass Köln selbst eine Boomstadt ist, gerade junge Familien ziehen sehr häufig Richtung Hennef. In Zukunft werden dort noch mehr Menschen leben, die in Köln arbeiten und die Nachfrage im Zug weiter steigern. Ein Problem dabei ist, dass der NVR aufgrund der Nettoverträge keinen Zugriff auf die Markteinnahmen hat. Obwohl mit mehr Fahrgästen auch mehr Geld generiert wird, steht dieses weder für notwendige Infrastrukturinvestitionen noch für die Bestellung zusätzlicher Leistungen zur Verfügung. Das Geld fließt aus dem System ab und geht direkt an den Betreiber. Erst beim Start einer neuen Vertragsperiode steht es wieder zur Verfügung.

Da man also kurzfristig keine große Lösung bringen kann, werden ab Dezember für zunächst ein Jahr alle Sitzplätze in der ersten Klasse freigegeben. Während der Planung haben NVR und VRS das Braunschweiger Verkehrsforschungsinstitut WVI mit einer Kundenbefragung beauftragt und prüfen lassen, ob als kurzfristige Entlastungsmaßnahme die erste Klasse für jedermann freigegeben werden kann. Dabei wurde besonderes Augenmerk darauf gelegt, wie hoch die tatsächliche Auslastung der ersten Klasse mit Fahrgästen ist. Die Auswertung ergab, dass hochgerechnet jährlich weniger als ein Fahrgast pro Abteil die erste Klasse auch tatsächlich nutzt – das heißt, sieben von acht Sitzplätzen bleiben leer.

Eine Aufhebungder ersten Klasse würde somit insbesondere in der Hauptverkehrszeit zu einer Entlastung führen und je nach Zuglänge die Bereitstellung von 12 bis 26 zusätzlichen Sitzplätzen ermöglichen. „Die insbesondere im Berufsverkehr bereitgestellten Kapazitäten in der zweiten Klasse sind bei weitem nicht mehr ausreichend. Die Freigabe der ersten Klasse ist daher eine kurzfristige und effektive Lösung, um für Entlastung in den Fahrzeugen zu sorgen. Daher sprechen wir uns für einen einjährigen Pilotversuch aus und planen, ab dem kommenden Jahr die 1. Klasse-Abteile der Linien S 12, S 13 und S 19 für alle Fahrgäste freizugeben. Die anderen S-Bahnlinien sowie alle RE- und RB-Linien sind davon nicht betroffen“, so NVR-Geschäftsführer Heiko Sedlaczek.

In anderen Großstädten wie Hamburg und München seien bereits seit vielen Jahren keine erste Klasse-Abteile in den S-Bahnen mehr vorhanden. Sedlaczek: „Wir hoffen, dass wir durch die steigende Sitzplatzverfügbarkeit die Kundenzufriedenheit steigern können. Mittelfristig wird uns allerdings nur der dringend benötigte Ausbau der Schieneninfrastruktur weiterhelfen, um den weiterhin steigenden Kapazitätsanforderungen gerecht zu werden.“ Nach dem ersten Jahr wird geprüft, wie die erste Klasse angenommen wurde und ob es eine ernsthafte Lösung gebracht hat. Angesichts der stark steigenden Fahrgastzahlen ist allenfalls von einer Abmilderung auszugehen. Insgesamt müssen Infrastruktur und Betriebsangebot auf der Schiene in und um Köln in Zukunft deutlich ausgeweitet werden.

Siehe auch: Ein Stück Komfort

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