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Warum das Ganze?

03.11.14 (Berlin, Kommentar) Autor:Max Yang

Wer in den neunziger Jahren groß geworden ist, könnte das Lied „Nicht allein“ von den Beginnern aus Hamburg kennen. Betrachtet man die ÖV-Branche aus Sicht eines kritischen Fahrgastes, kann man die darin gestellte Frage „siehst du dich nicht auch ab und zu mal allein auf weiter Flur…“ nur bejahen, ohne mit der Wimper zu zucken. Angesichts des Misserfolgs der symbolträchtigen Ausschreibung des S-Bahn-Teilnetzes Ring in Berlin lohnt es sich, einen Moment inne zu halten und sich bewusst zu werden, vor welchem Hintergrund die heutigen Strukturen entstanden sind. Nach der Wiedervereinigung existierten zwei deutsche Staatsbahnen, die sich Deutsche Bundesbahn (DB) und Deutsche Reichsbahn (DR) nannten.

Die DR war aufgrund des Mangels an Autos im Osten alternativlos, was sich durch aus dem Westen importierte Gebrauchtwagen schnell ändern sollte. Trotz des erfolgreichen Produktstarts von InterRegio und ICE auf Seiten der DB hat sich der schlechte Modal Split nie vom starken Einbruch durch die Massenmotorisierung erholt. Der nicht barrierefreie einstöckige Nahverkehrswagen (Silberling) wurde mehr als zwei Jahrzehnte lang mit nur geringfügigen Veränderungen in immer neuen Auflagen produziert. Nahverkehrsstrecken, die schlecht bewirtschaftet und daher nicht nachgefragt wurden, wurden massenhaft stillgelegt und teilweise nach der Bahnreform erfolgreich durch lokales Engagement reaktiviert. Die deutsche Bahnreform brachte 1994 die Sektorisierung, welche die altehrwürdige British Rail im Interesse der Kostentransparenz bereits einige Jahrzehnte zuvor in Ansätzen vollzog.

Ja, die Bundesbahn verbeamtete Lokführer und das Leben als Beamter hat Vorteile (wenn man die Verbeamtung schaffte und nicht gerade zu alt, zu dick oder was auch immer war und leider, leider durchs Raster fiel), doch brachte auch dies hohe Kosten mit sich. Die Bundesbahn war quasi insolvent. Die Bahnreform und die Einführung des Bestellerprinzips im Nahverkehr waren nur folgerichtig, um eine zukunftsfähige Schiene in Deutschland sicherzustellen. Lokale Angelegenheiten sind in Hannover, München, Gelsenkirchen… besser aufgehoben als bei einer Bundesbehörde im ganz schön fernen Berlin oder Frankfurt. Und da SPNV mit Steuergeldern finanziert wird ist es auch richtig, dass Leistungen nach Wirtschaftlichkeit vergeben, d.h. ausgeschrieben werden.

Die inzwischen übliche Tarifbindung zeigt, dass der Wettbewerb zu Unrecht in manchen Kreisen als Verschwörung zum Drücken von Löhnen verteufelt wird. Da es keinen „geborenen Betreiber“ mehr gibt, gäbe es die Möglichkeit, unzuverlässige Unternehmen im Interesse der Allgemeinheit schnell loszuwerden. Wie gesagt, gäbe. Auch eine Landesregierung müsste sich bewusst dazu entscheiden, die eigene Macht zu nutzen und nicht wegen falscher Rücksichtnahme ihre Arbeit nicht zu machen. Wird nicht sanktioniert, ist der alte Schlendrian schnell wieder da. Gerade weil ÖV Daseinsvorsorge ist, sollte man nicht die Interessen einzelner Unternehmen vor die der Volkswirtschaft stellen. Ein solches Bekenntnis bedarf viel politischen Mutes, wäre aber ein attraktives Alleinstellungsmerkmal.

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