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Der VDV und die Chlorhähnchen

10.06.14 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Dass man beim VDV nicht unbedingt freudig reagiert, wenn es um Marktöffnung, Liberalisierung und das Aufbrechen verkrusteter Strukturen geht, ist nichts neues. Dieser Verband steht wie kaum jemand in Deutschland für das Platzhirsch-Prinzip. Wenn man sich nun aber in die lange Reihe von TTIP-Kritikern einreiht, die mit Schlagworten wie „Chlorhähnchen“ oder „Wasserprivatisierung“ nicht mehr Stimmung, sondern Panik unter schlichten Gemütern machen, dann muss man sich schon ernsthaft fragen, was das soll.

Steht im TTIP, dass die Qualität öffentlicher Dienstleistungen gesenkt werden muss? Werden den zuständigen Behörden die Direktvergabeoptionen in der Verordnung 1370/07 genommen? Nein, wird es alles nicht. Die Diskussionen um eine Novellierung dieser ÖV-Verordnung haben mit einem Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union überhaupt nichts zu tun. Oder fürchtet man da beim VDV, dass zumindest Teile des nordamerikanischen Eisenbahnwesens für Europa ein Modell sein könnten?

Denn viele Vorurteile über das vermeintliche „Autofahrerland“ USA stimmen nicht mal auf den ersten Blick. So spielt der Schienengüterverkehr dort, obwohl die Eisenbahn nicht ansatzweise so hoch subventioniert ist wie bei uns, eine viel größere Rolle als in Europa. Übrigens auch der Personenverkehr auf der Schiene, zumindest da, wo die Schiene ihr höchstes Potential hat, nämlich etwa in Metropolregionen.

Wer sagt eigentlich, dass die europäische Eisenbahnpolitik per se besser ist? Wieso soll es falsch sein, wenn man in bestimmten Dingen auch voneinander lernt? Eine auskömmliche Versorgung mit Regionalisierungsgeldern für den SPNV wird auch mit TTIP niemand in Frage stellen. Auch deutsches oder europäisches Vergaberecht in Eisenbahnfragen wird nicht von transatlantischen Vereinbarungen gefährdet.

Im Grunde wäre es jetzt in dieser Situation wichtig, versachlicht und vernünftig über die Frage zu sprechen, wie – auch vor dem Hintergrund einer immer wieder geforderten Verkehrswende – das ÖV-System organisiert und praktiziert werden soll. Welche Rolle sollen dabei öffentliche und welche Rolle sollen private Unternehmen spielen? Wie können Qualität und Leistung sichergestellt und bei wirtschaftlich darstellbaren Kosten realisiert werden?

Wie verhalten wir uns Akteuren gegenüber, die nicht aus Europa kommen, auch US-Unternehmen gegenüber? Die haben jedes Recht, hier in Deutschland am Wirtschaftsleben teilzunehmen, so wie ja auch deutsche und europäische Unternehmen den Sprung über den großen Teich gewagt haben und dort gutes Geld verdienen. Siemens z.B. betont immer wieder, wie attraktiv der Eisenbahnmarkt in Amerika für Hersteller ist, wegen des konstant hohen Investitionsvolumens für Rollmaterial.

Und bevor Diskussionen aufkommen: Ja, es ist völlig irrelevant, wohin die (versteuerten!) Gewinne am Ende abgeführt werden. Der VDV sollte aufpassen, dass er nicht ins Horn derer bläst, die durch vulgärmarxistische Parolen oder nationalistische Sprüche auffallen. Populismus kann vom Rand ebenso kommen wie aus der Mitte.

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