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Berliner S-Bahn immer noch am Scheideweg

08.05.14 (Berlin, Kommentar) Autor:Max Yang

In verkehrspolitischer Sicht haben wir einen „Pleitestaat“ vor der eigenen Haustür – das Land Berlin, in dem ein kommunaler Verkehrsbetrieb mit Finanzmarktspekulationen beinahe 150 Millionen Euro verzockt hätte und eine S-Bahn GmbH die massivsten Betriebseinschränkungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch einen misslungenen Sparkurs bei Personal und Wartung selbst verschuldet hat. Der S-Bahn-Verkehrsvertrag von 2004, welcher jahrelang vor der steuerzahlenden Öffentlichkeit geheim gehalten wurde, war von hohen Zugkilometerpreisen und unzureichenden Sanktionsmöglichkeiten bei Schlechtleistung geprägt.

Nachdem Wowereit und sein rot-roter Senat vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2011 jeder Debatte aus dem Weg gingen, wurde hektisch eine wohl nicht gerichtsfeste Ausschreibung gestartet und wieder zurückgezogen. Der zweite Anlauf zur Ausschreibung der Ringbahn droht ebenfalls zum Rohrkrepierer zu werden, denn angesichts massiver Risiken durch überzogene Anforderungen haben bis auf die DB AG und National Express alle anderen Bieter das Handtuch geworfen. Nun ist zwar Nichtwissen keine Schande, das Nicht-Wissen-Wollen aber durchaus, und bei den vielen Pannen drängt sich der Verdacht auf, dass mancher Verantwortliche nicht so ganz hinter der Ausschreibung steht.

Es muss wohl mit einigen Vorurteilen aufgeräumt werden: Keineswegs handelt es sich bei einer Ausschreibung um eine Strafaktion, sondern um ein durch Gesetz vorgeschriebenes staatliches Handeln, zumal Steuergelder im Spiel sind. Auch der oft gebrachte Vorwurf des Lohndumpings ist so nicht zutreffend – es finden die Tariftreueregelungen der Länder Anwendung und gerade bei dieser S-Bahn-Ausschreibung soll der Gewinner dazu verpflichtet werden, den Beschäftigten die Übernahme zu gleichen Konditionen anzubieten. Nüchtern, aber leider von den Verantwortlichen in den Wind geschlagen, hingegen die Analyse des ehemaligen VBB-Chefs Hans-Werner Franz in „Berliner S-Bahn am Scheideweg“, einem immer noch lesenswerten Gastbeitrag in der Zeitschrift „Signal“ von 2010. Früh zeigte er auf, dass das Problem nicht wie landläufig behauptet „Privatisierung“ an sich ist, sondern die einseitige Abhängigkeit von einem Unternehmen ohne Wettbewerbsdruck und fehlende Sanktionsmöglichkeiten. Angesichts der technisch einzigartigen S-Bahn-Triebzüge wurde schon damals von ihm ein Mietfahrzeugkonzept vorgeschlagen.

Ein Blick nach Nordrhein-Westfalen genügt, um zu sehen, dass etwa im VRR ein Fahrzeugfinanzierungsmodell zu mehr Bietern, mehr Wettbewerb und damit für die Aufgabenträger günstigeren Vertragsabschlüssen geführt hat. Dies ermöglicht auch den schnellen Wechsel von Betreibern bei Schlechtleistungen. Doch war ein fairerer Wettbewerb den Berliner Spitzenpolitikern offenbar zu teuer oder inopportun. Um Franz zu zitieren: „Der deutsche ÖPNV war mal führend in Europa, mittlerweile sind andere besser.“ Um diese Entwicklung umzukehren, bedarf es politischen Mutes und Konfliktfähigkeit – auch im Interesse der Fahrgäste und des Gesamtsystems ÖPNV darf nicht bis 2032 gewartet werden.

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