Wem schadet der Verdi-Streik?
27.03.14 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Der Streik wurde mal eingeführt, um in der Montan- und Schwerindustrie durch Arbeitsniederlegungen wirtschaftlche Schäden zu verursachen. Die Kosten für Maschinen und Material laufen weiter, während nicht mehr gearbeitet wird. Auch wenn die Arbeitnehmer für die Zeit der Ausstände nicht entlohnt werden, so steht der Arbeitgeber unter ökonomischem Druck. Er ist quasi gezwungen, sich mit den Gewerkschaften zusammenzusetzen und Lösungen auszuarbeiten, damit die Fabrik wieder hochgefahren werden kann.
Dabei hat sich in der Sozialpartnerschaft der Bonner Republik stets das Prinzip bewährt, den Streik als letztes Mittel einzusetzen, als ultima ratio. Mit der sozialen Marktwirtschaft wurde der Klassenkampf beendet und aus den Gegnern von einst wurden Sozial- und Tarifpartner. Die Tarifautonomie gewährleistet, dass die Lohnfindung unabhängig von der politischen Großwetterlage stattfindet und niemand mit Forderungen wie „Wählt uns und wir erhöhen Eure Gehälter“ in den Wahlkampf ziehen kann. Nun haben wir hier aber eine Sondersituation. Zum einen ist der Staat nicht mehr nur als Regierung unbeteiligt, sondern als Arbeitgeber Tarifpartei. Gleichzeitig sind die öffentlichen Unternehmen, bleiben wir in der ÖV-Branche, selbst als solche tätig und haben eigene Interessen und handeln zum Wohle ihres Nutzens.
Allerdings finanziert sich die ÖV-Branche anders. Rund die Hälfte der umgesetzten Gelder stammen aus unterschiedlichen Subventionen. Bestellmittel für Leistungen, Verlustübernahmen durch die Aufgabenträger / Gesellschafter öffentlicher Unternehmen, aber auch Fahrgeldsurrogate als Ausgleichszahlungen für die kostenlose oder stark verbilligte Beförderung Behinderter und vieles mehr. Die andere Hälfte läuft unter dem Begriff der „Nutzerfinanzierung“. Der VDV gibt den Kostendeckungsgrad zwar regelmäßig mit rund achtzig Prozent an, kann dies aber nur mit einem buchhalterischen Trick tun: Die Fahrgeldsurrogate, die von der öffentlichen Hand bezahlt werden, werden einfach als Markteinnahmen gerechnet, weil es ja keine Betriebskostenzuschüsse, sondern Ausgleichszahlungen für verbilligte Fahrscheine sind. Tatsächlich stammen im bundesweiten Durchschnitt nur etwa 50 Cent von jedem Euro, der im Gesamtsystem umgesetzt wird, vom Nutzer, wie der Endkunde in der ÖV-Branche genannt wird.
Und das Geld, das unter dem großen Bereich Nutzerfinanzierung umgesetzt wird, ist größtenteils im Rahmen von Zeitkarten bezahlt – Barfahrscheine machen nur einen sehr kleinen Teil aus, seit Jahrzehnten schon fährt man in fast allen Verbünden Deutschlands eine Abostrategie, bei der sich die Zeitkarte schon mit relativ wenigen Fahrten lohnen soll. Fasst man das zusammen, ist festzustellen, dass die Einnahmen für die bestreikten Unternehmen im Großen und Ganzen weiterlaufen, die Kosten aber gespart werden: Die Busse bleiben stehen, keine Verschleiß- und Kraftstoffkosten. Die Mitarbeiter müssen nicht bezahlt werden, wenn sie streiken. Kurzum: Der ökonomische Druck gegen den Arbeitgeber ist in diesem Sektor durch Streiks kaum zu erreichen. Der wirkliche Leidtragende ist der Endkunde, der die Zeche zahlen muss.