Deutschland im Takt statt eigenwirtschaftlicher Flickschusterei
19.08.13 (Fernverkehr, Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Als ich vor zwei Jahren mit dem InterCity zum Timmendorfer Strand gefahren bin, brachte es ein Kunde auf den Punkt: „Früher gab es Sonderzüge zur Ferienzeit. Heute gibt es Stehplätze.“ Das ist vielleicht etwas überpointiert, aber nicht sachlich falsch. Wenn man dann aber die phänomenale Ebene verlässt und sich mit der Frage beschäftigt, warum das so ist, dann wird man sehr schnell merken, dass die Eigenwirtschaftlichkeit des SPFV hier das große Problem ist: Züge müssen rollen und zwar mit einer angemessenen Auslastung. Sind sie leer, verdienen sie kein Geld. Deshalb hat die DB Fernverkehr AG als gewinnorientierter Betreiber kommerzieller Zugleistungen andere Interessen als die, die eine gemeinwohlorientierte Eisenbahnpolitik verfolgen müsste.
Einen deutschlandweiten Taktverkehr, der vom ICE-Sprinter bis zum Dorfbus vollständig durchorganisiert ist, wird es nicht geben, solange die Deutsche Bahn nach eigenem Dafürhalten entscheiden kann, wo Fernverkehr angemessen ist und wo nicht. Ein Zug ist nicht per se unnütz, nur weil er seine Kosten nicht tragen kann. Wie wichtig bestellter Fernverkehr ist, belegen die Bestrebungen der DB AG, sich ihre Fernverkehrsleistungen aus Regionalisierungsgeldern alimentieren zu lassen. Das wird sicher auch einige Jahre gutgehen, bis der erste dagegen klagt und diesem Modell ein gerichtlicher Riegel vorgeschoben wird.
Gründe gibt es mehrere: Angefangen von vergaberechtlichen Fragen (es handelt sich um eine Direktvergabe, die seit dem Abellio-Urteil nicht mehr möglich ist) bis hin zur Zweckbindung der Regionalisierungsgelder, denn wenn ein Fernzug durch die Aufgabenträger bestellt wird, dann muss man sich ernsthaft die Frage stellen, ob die Zweckbindung (SPNV-Leistungen) hier noch erfüllt ist. Vielleicht sollte ein Landesverkehrsminister stattdessen mal die Courage haben, den Bund vor dem Bundesverfassungsgericht an seine Pflichten zu erinnern, die in Artikel 87e, Absatz 4 des Grundgesetzes festgeschrieben sind. Dort wird ein Bundesgesetz verlangt, das Näheres regeln soll und im Jahr 20 der Eisenbahnreform noch immer nicht vorhanden ist. Unbestreitbar jedoch ist, dass die Rechtsauffassung der Bundesregierung, wonach überall dort kein Bedarf vorhanden sei, wo die DB AG nicht bereit ist, eigenwirtschaftlich zu fahren, nicht zu halten ist.
Deshalb braucht es öffentlich organisierten und bestellten SPFV und keine eigenwirtschaftliche Flickschusterei. Darüber hinaus braucht es unabhängige Vertriebskanäle und Fahrplanauskünfte, die dafür sorgen, dass unabhängig vom Verkehrsmittel die Umsteigerelationen mit einem einzigen Fahrschein ebenso möglich ist wie die Sicherheit, dass in den Fahrplanmedien auch alle Möglichkeiten enthalten sind. Welche Linie bringt mich wann am besten wohin, inklusive angemessener Umsteigezeiten. Deshalb müssen sich auch die kommunalen Verkehrsunternehmen einem ganzheitlichen Taktverkehr unterordnen. Dass man nach 20 Uhr eine knappe Stunde auf den Bus warten muss, ist nicht akzeptabel, aber die Realität. An dieser Stelle muss man auch über ein Mentalitätsproblem der Verantwortlichen sprechen und an dieser Stelle ansetzen.