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Das Leben in vollen Zügen genießen

06.06.13 (Allgemein, Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Gelegentlich wird mir vorgeworfen, ich würde den VDV „nicht mögen“. Da ich regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel nutze, gebe ich gerne zu, dass ich einen Verband kritisch sehe, der die Kundenzufriedenheit hochoffiziell als irrelevant betrachtet. Manchmal aber ist das, was der VDV von sich gibt, unfreiwillig komisch. Die haben tatsächlich festgestellt, dass es, insbesondere zur Hauptverkehrszeit, oft sehr voll ist in Bussen und Bahnen. Ja das ist doch der Wahnsinn, wer hätte das gedacht? Das muss neu sein, das gab es früher nicht.

Als nächstes wird man vielleicht sogar zu der Erkenntnis gelangen, dass es Leute gibt, die allein deshalb lieber mit dem Auto zur Arbeit fahren, weil sie da einen garantierten Sitzplatz haben. Klar, da steht man schlimmstenfalls im Stau, aber was ist schon der regelmäßig Ärger auf der A 40 im Vergleich zu den immer schlimmer werdenden Verspätungen des parallel fahrenden NRW-Express? Natürlich ist der Münchener Autobahnring überfüllt, aber eben nicht nur der, sondern auch der Eisenbahnring ist von betrieblichen Unregelmäßigkeiten geprägt. Die Schlussfolgerung, dass die deutsche Verkehrsinfrastruktur angesichts des insgesamt wachsenden Verkehrsaufkommens ausgebaut werden muss, dürfte eigentlich trivial sein, doch sie ist es nicht. Noch vor ein paar Jahren gab es Branchenakteure, die jede Form von Straßenneubau ablehnten, weil sie glaubten, ohne neue Straßen würde auch das Verkehrsaufkommen nicht wachsen. Hören wir einfach auf, Straßen zu bauen, schon fährt keiner mehr mit dem Auto, die Autos kommen von selbst, wenn man Straßen baut.

Tatsache ist aber, dass sowohl Schiene als auch Straße erheblich verbessert werden müssen. Die infrastrukturellen Voraussetzungen von vor 30 oder 40 Jahren reichen im 21. Jahrhundert nicht mehr aus. Wenn wir tatsächlich irgendwann mal von einer ernsthaften Verkehrswende reden sollten (der Modal Split ist nach wie vor eine Katastrophe und die Selbstbeweihräucherung insbesondere des VDV für nicht vorhandene Erfolge ist allenfalls peinlich), dann braucht es deutlich höhere Investitionen in Neubau und Erhalt, aber es braucht auch angemessene Etats für konsumtive Ausgaben, sprich für die Verkehrsbestellung. Solange sich aber die Länder mehrheitlich weigern, die Kompensationsleistungen aus der Umsatzsteuer-Erhöhung, die sie seit 2007 nicht zweckgebunden für die gesunkenen Regionalisierungsgelder erhalten, weiterhin der Schiene zur Verfügung stellen, wird es soweit nicht kommen. Die Folge ist weiterhin ein Rumeiern ohne echtes Konzept, ohne Idee und ohne einen Plan, der über die nächsten Wahlen hinausgeht.

In München macht man gerade vor, wie es geht: Eine langfristige Angebotsoffensive, die verlässlich einmal im Jahr Leistungsausweitungen vorsieht, dazu kleinere Infrastrukturmaßnahmen im SPNV aber auch der Bau der großen zweiten S-Bahnstammstrecke, weil das Prinzip „schnell und billig“ eben nicht immer das einzig Wahre ist. Auf dem Land zeigt der NVV, dass man auch Fahrgemeinschaften in den Verbund integrieren kann. Die Verkehrswende ist vielschichtig, aber möglich; doch es fehlt die Innovationsmentalität in der Branche.

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