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Weitere Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 – externe Beratungsfirma schätzt Kosten auf bis zu 10 Milliarden Euro – erste Grünenpolitiker fordern Projektaus

07.12.12 (Stuttgart) Autor:Niklas Luerßen

Beim sogenannten Stadtentwicklungs- und Immobilienprojekt Stuttgart 21 scheinen sich die Gesamtkosten immer schneller zu erhöhen. Der Hessische Rundfunk (hrINFO) zitierte einen Vertreter der Deutschen Bahn (DB): „Insgesamt läuft es auf Kosten von sechs Milliarden hinaus“. Noch bis gestern ging die Bahn laut Angaben aus deren Umfeld davon aus, dass die Kosten „lediglich“ um 1,1 Mrd. Euro – also auf insgesamt 5,5 Mrd. Euro – steigen würden. Dem Landesverkehrsministerium hingegen lägen eigenen Angaben zufolge allerdings keine neuen Zahlen vor.

Die Konzernzentrale in Berlin bestätigte die Kosten von sechs Milliarden Euro zunächst nicht. Das seien interne Zahlen, die am kommenden Mittwoch im Aufsichtsrat vorgelegt und zuvor nicht veröffentlicht werden, so ein Sprecher.

Hintergrund: Am 12. Dezember findet die Aufsichtsratssitzung der DB statt. Dort muss Infrastruktur- und Technikvorstand Dr. Volker Kefer die aktuellen Zahlen und Fakten präsentieren. Bei der aktuellen Kostendebatte liegt das Problem nun darin, dass im Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 ein Kostendeckel von insgesamt 4,526 Mrd. Euro festgelegt wurde. Wer mögliche Mehrkosten darüber hinaus tragen müsste, ist derzeit heftig umstritten. Alle Seiten der Öffentlichen Hand von Stadt bis Bund pochen darauf, dass sie keinerlei Mehrkosten darüber hinaus übernehmen würden. Selbst Stuttgart 21-Befürworter in der Landesregierung, wie SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, sagen: „Das ist Sache der Bahn.“

Laut geplanter Tagesordnung soll sich der Aufsichtsrat zwei Stunden lang alleine den Kosten- und Finanzierungsproblemen bei diesem Projekt widmen. Aus dem Umfeld des Gremiums heißt es dazu: „Zwei Stunden sind für den Aufsichtsrat eine sehr lange Zeit, für das Thema sind sie aber eigentlich viel zu kurz“. Mit der aktuellen Kostenprognose hätten nicht nur Bahnchef Dr. Rüdiger Grube und Kefer, sondern auch der Aufsichtsrat ein mächtiges Problem, denn das Gremium hatte im gleichen Atemzug seiner Investitionsentscheidung vom 9. Dezember 2009 eine „absolute Risikobegrenzung“ beschlossen, das heißt, dass die Risiken über 4,526 Mrd. Euro Stadt und Land alleine tragen müssten, ansonsten werde die Bahn aus dem Projekt aussteigen. Nach späteren Angaben von Grube rechne sich das Projekt betriebswirtschaftlich, so lange es nicht mehr als 4,769 Mrd. Euro kosten würde (also bei finanzierten 4,526 Mrd. Euro aller Projektpartner und bis zu dieser Grenze Übernahme durch die DB), ab dann läge es für die Bahn in der Verlustzone. Der Aufsichtsrat könnte diesen Umstand, dass die Gesamtkosten erheblich über die Grenze steigen würden, normalerweise nicht akzeptieren, außer Grube legt dar, dass die Verluste durch einen Projektabbruch höher wären.

Zuletzt bekräftigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nochmals, dass die unternehmerische Verantwortung für Mehrkosten bei der DB liege. „Die Bahn kann nicht auf eine Beteiligung des Landes hoffen. Das weiß sie nicht erst seit gestern. Das weiß sie von Anfang an“. Auch die Grünen-Landeschefs Chris Kühn und Thekla Walker kritisierten: „Das ist die immer gleiche Salamitaktik der Bahn. Es fehlt hier völlig an transparenter Kommunikation. Die derzeitigen Wasserstandsmeldungen bei den Mehrkosten widersprächen einmal mehr dem Versprechen der Bahn, Kosten und Risiken klar darzulegen. Das Land hat sich zu einer Zahlung von 930 Millionen Euro bereit erklärt. Alles, was darüber hinausgeht, hat die Bahn als Bauherrin selbst zu verantworten.“

Grube und Kefer gehen derzeit davon aus, dass die Bahn wegen „Hypotheken aus der Vergangenheit, also Fehlplanungen und übersehene Kostenpunkte“ von den Kostensteigerungen 1,1 Mrd. Euro selber zahlen muss, der Rest soll in einen sogenannten „Allgemeinen Sondertopf für allgemeine Risiken“ gesteckt werden, wo alle Partner einzahlen sollen. Doch dies haben bisher alle kategorisch ausgeschlossen.

Im Aufsichtsrat gibt es indes die Befürchtung, dass selbst sechs Milliarden Euro für über 60km Tunnel sowie den Tunnelbahnhof nicht ausreichen werden. So sagte jemand aus dem Gremium, dass das Projekt noch nicht einmal richtig im Bau, aber bereits jetzt „ein Fass ohne Boden“ sei. Das Problem an der Sache sei allerdings, dass es bisher offiziell keinerlei Konzeption für Stuttgart für die Zeit nach einem etwaigen Projektaus gäbe.

Nach Angaben einer externen Beratungsfirma aus München, Vieregg & Rössler, lägen die Gesamtkosten bei diesem Projekt Berechnungen zufolge sogar bei je nach angenommener Inflationsrate zwischen acht und zehn Milliaden Euro, alle Posten bis zum Jahr 2020 zusammengenommen, so Karlheinz Rössler. So habe man bereits im Jahr 2008 die Kosten durchgerechnet und sei bereits damals auf etwa sechs Milliarden Euro gekommen. Stand damals wären die Gesamtkosten bei angenommener Inflationsrate von 2% bei 6,9 Mrd. Euro und bei angenommener Inflationsrate von 5,5% bei 8,7 Mrd. Euro gewesen.

Heute sind jedoch „kostenträchtigere Posten“ hinzugekommen, so Rössler, wie zum Beispiel der neue Flughafenbahnhof, der bisher nicht genehmigungsfähige Brandschutz, mehr als doppelt so große Mengen an Grundwasser zum Abpumpen sowie die Ergebnisse der Schlichtung. „Mit jedem Jahr Inflation und auflaufender Zinsen wird es noch mal teurer.“

Nachdem bereits der VCD, BUND sowie DIE LINKEN ein sofortiges Projektaus gefordert hatten, fordern nun auch erste grüne Politiker diesen Schritt. So äußerte sich der Landtagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Bietigheim-Bissingen, Daniel Renkonen, auf seiner Internetseite, dass es sehr schön wäre, wenn die Öffentlichkeit und Landespolitiker solcherlei Hiobsbotschaften nicht erst aus den Medien, sondern direkt von der Bahn erfahren würden. Die Bauarbeiten im Gleisvorfeld scheinen gar kein Ende mehr zu nehmen. Gleis 10 sei nach drei Zugentgleisungen nun schon über einen Monat für den Bahnverkehr gesperrt. Dazu hänge die Dachkonstruktion am seidenen Faden und müsse auf Gleis 8 mit tonnenschweren Betonpfeilern notdürftig abgestützt werden. Darüber hinaus klemme es beim Grundwassermanagement an allen Ecken und Enden. Die DB AG schulde der Stadt Stuttgart auch noch ein geologisches Gutachten, um die Befürchtungen von Setzungen durch das Grundwassermanagement wissenschaftlich zu entkräften. Die DB solle ernsthaft über einen Ausstieg aus dem Bahnprojekt Stuttgart 21 nachdenken, weil sie das Projekt sowohl planerisch als auch finanziell maßlos unterschätzt hätte. Das Land wäre sicherlich bereit, über einen Ausstieg zu verhandeln.

Auch der Hohenloher Abgeordnete Harald Ebner fordert einen sofortigen Baustopp. „Ein Baustopp ist bis zur vollständigen Klärung der wahren Kosten unabwendbar, bevor weiter sinnlos Geld in Stuttgart verschleudert wird. Von Land und Stadt soll es keinen weiteren Cent für dieses Milliardengrab geben; auch der Bund darf sich nicht an diesen bisher verheimlichten Mehrkosten beteiligen“. Er fordert von Ramsauer und Kefer endlich die „überfällige Transparenz“ ein. „Die wahren Kosten müssen auf den Tisch, damit wir in Stuttgart nicht dasselbe Debakel, wie am Berliner Flughafen erleben“. Weil die Bahn nicht wisse, wie sie die Mehrkosten finanzieren solle, sei es an der Zeit, dass sie über Sinn und Unsinn des Projekt nochmal tief nachdenke.

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