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Bahn gesteht massive Mehrkosten bei Stuttgart 21 zu

13.12.12 (Stuttgart) Autor:Niklas Luerßen

Die Deutsche Bahn (DB) hatte bei der gestrigen Aufsichtsratssitzung, die über zweieinhalb Stunden ging, beim Projekt Stuttgart 21 einen drastischen Kostenanstieg von 2,3 Milliarden Euro eingeräumt. Davon will sie 1,1 Milliarden Euro selber übernehmen. Der Aufsichtsrat hat jedoch über das Ansinnen noch nicht entschieden.

Kurz und schmerzlos ging der erste Tagesordnungspunkt vorüber: Die Verlängerung des Vertrages von Bahnchef Rüdiger Grube als Vorstandsvorsitzender über das Jahr 2013 hinaus bis zum Jahr 2017. Deutlich heikler musste es dann beim zweiten Punkt, Stuttgart 21, zugegangen sein.

Zum Hintergrund: Bahnchef Grube hatte im November 2009 mehrfach geäußert, dass der finanzierungsvertraglich festgelegte Kostendeckel in Höhe von 4,526 Milliarden Euro nahe der Wirtschaftlichkeitsgrenze läge. Zu dem Zeitpunkt wurden gerade die prognostizierten Gesamtkosten von 3,1 Milliarden auf 4,088 Milliarden Euro korrigiert, damit gab es nur noch einen sogenannten Risikopuffer von lediglich etwa 420 Millionen Euro. Sehr ambitioniert bei einem so lang laufenden Projekt, vor allen Dingen angesichts der Tatsache, dass die Summe von 4,088 Milliarden nur zustandegekommen ist, weil Grube Einsparpotentiale bei den Tunneldicken (Reduzierung auf 60 Zentimeter Dicke) ausgemacht haben will, die mit 800 Millionen Euro zu Buche schlagen. Ansonsten hätten die Kosten nämlich damals schon 4,9 Milliarden Euro betragen. Im Jahr 2011 präzisierte Grube dann noch dahingehend, daß die Wirtschaftlichkeitsgrenze der Bahn bei genau 4,768 Milliarden Euro läge, wenn man unterstelle, dass 4,526 Milliarden Euro die Projektpartner gemäß Finanzierungsvertrag zahlen würden und den Rest bis zu dieser Grenze die Bahn alleine.

Nun hatte McKinsey im Auftrag der Bahn die Planungen und Kosten durchleuchtet. Das Ergebnis: Die Kosten für das Projekt werden wohl auf 6,8 Milliarden Euro hochschnellen. Davon will die Bahn bis zu 1,1 Milliarden Euro als direkte eigene bzw. Planungsfehler selber übernehmen, ohne die Finanzierungsvertragspartner in Anspruch zu nehmen. Damit steigt die finanzielle Beteiligung der Bahn von 1,7 auf 2,8 Milliarden Euro. In diesen 1,1 Milliarden Euro sind 610 Millionen Euro nicht in der  bisherigen Kalkulation enthaltene Bau- und Planungskosten und 490 Millionen Euro nicht realisierbare Einsparpotentiale enthalten.

Aus den Kreisen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, die im Aufsichtsrat vertreten sind, heißt es dazu: „Wir sind über diese Kostenexplosion schon sehr erstaunt und werden uns das neue Zahlenwerk sehr genau anschauen.“ Auch  in Koalitions-, Ministeriums- und Gewerkschaftskreisen rumort es, da diese den Kalkulationen der Bahn vertraut und sich nun völlig überrascht zeigten. Auch bei den Planfeststellungen gibt es Probleme. Erst neun von 59 Planfeststellungen sind abgeschlossen, was durchschnittlich vier Jahre länger als kalkuliert gedauert habe.

Nach Ansicht von Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat die Bahn mit dem Kosteneingeständnis damit lange bestehende Befürchtungen bestätigt: „Diesen Anstieg der Projektkosten kann die DB-Führung auch nicht erst seit wenigen Tagen gewusst haben. Es ist mehr als ärgerlich, dass sie diese Kostenrisiken gegenüber den Projektpartnern und der Öffentlichkeit trotz vielfacher Nachfragen über Monate und Jahre bestritten hat.“

Es falle deshalb schwer, der neuen Kostenrechnung zu trauen und zu glauben, damit wäre schon das Ende der Kostensteigerung erreicht. Hermann kündigte an: „Wir werden die neuen Zahlen kritisch prüfen, sobald wir die entsprechenden Unterlagen von der DB bekommen. Das ist außerdem ein Fall für eine externe  Untersuchung beispielsweise durch den Bundesrechnungshof. Angesichts der gewaltigen Mehrkosten müssen Vorstand, Aufsichtsrat und letztlich auch der Eigentümer Bund die Frage von Wirtschaftlichkeit und Verantwortung klären.“

Es sei mehr als selbstverständlich, dass die Bahn alle Mehrkosten in Folge eigener Fehlplanungen selbst übernehme. Das Herausrechnen dieser Kosten aus dem Gesamtbudget mache das Projekt aber nicht billiger, sondern verlagere die Probleme nur in die Zukunft. Denn erfahrungsgemäß ist mit weiteren Kostensteigerungen während der Bauzeit zu rechnen. Für jegliche Art von Mehrkosten gelte nach wie vor der Kostendeckel in Höhe von 930,6 Millionen Euro Landesanteil, wie Hermann nochmal extra betonte.

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 fordert unterdessen einen sofortigen Baustopp, kein Hineinstecken eines weiteren „Cents mehr in dieses Fass ohne Boden“ und den sofortigen Rücktritt von Kefer, Grube und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), denn der habe als Vertreter der Anteilseigner seine Aufsichtspflicht grob vernachlässigt und „sehenden Auges die Fahrt ins Fiasko flankiert.“ Clarissa Seitz, Grünen-Gemeinderatsmitglied und Sprecherin des Aktionsbündnisses: „Mit ihnen ist der jetzt dringend erforderliche Neubeginn nicht möglich, Nicht nur mit S21 müsse nun Schluss  sein, sondern mit dieser Politik des Zugrunderichtens unserer Bahn.“

Zur Erinnerung: Ursprünglich sollte sich Stuttgart 21 aus den Erlösen aus Grundstücksverkäufen selbst finanzieren.

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