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Stuttgart 21, der Kostendeckel und viel politischer Sprengstoff

12.11.12 (Kommentar, Stuttgart) Autor:Niklas Luerßen

Eigentlich war es angesichts der im Raum stehenden Kostensteigerungen wegen des alternativen Flughafenbahnhofs, der Schlichtungsergebnisse sowie des verbesserten Brandschutzes nur eine Frage der Zeit gewesen, wann die Debatte über den Kostendeckel sowie der potentiellen Übernahme von Mehrkosten darüber hinaus losgehen würde. Doch was in dieser Woche in Stuttgart, der Region Stuttgart und Baden-Württemberg geschehen ist, glich einem bestgeschriebenen Drama in der Geschichte der Politik.

Am 6. November vormittags preschte der Baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) mit der überraschenden Nachricht vor, das Land könne sich unter Umständen an den Mehrkosten für den Flughafenbahnhof beteiligen, nachdem zuvor SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel einen Extratopf zur Finanzierung des verbesserten Flughafenbahnhofs vorgeschlagen hatte. Dass Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) umgehend korrigierte, der Kostendeckel in Höhe von 4,5 Milliarden Euro sei nach wie vor die maximale Obergrenze, ging dagegen völlig unter.

Nachdem auf Kretschmanns Facebookseite ein regelrechter sogenannter Shitstorm besorgter Wähler und S21-Gegner einging, bemühte sich das dortige Facebook-Seitenteam in seinem Namen eiligst zu berichten, dass der Kostendeckel selbstverständlich nach wie vor gelte. „Es ist gar nicht daran zu denken, dass wir uns an den von der Bahn prognostizierten Mehrkosten für den verbesserten Filderbahnhof beteiligen. (…) Im Übrigen steht die Landesregierung damit nicht allein: Bislang haben alle Projektpartner (inkl. Landeshauptstadt Stuttgart, Verband Region Stuttgart, Flughafen Stuttgart) einmütig erklärt, sie würden sich nicht an Mehrkosten bei Stuttgart 21 beteiligen. Dies gilt auch für den Filderbahnhof.“ Dass dem nicht wirklich so sein müsste, zeigte sich in den folgenden Tagen. Später in den SWR-Abendnachrichten gab Kretschmann jedoch zu Protokoll, bei einer überschaubaren Größe – etwa 20 Millionen Euro Mehrkosten – würde man natürlich noch kein großes Fass aufmachen. „Wir sind ja schließlich keine Fundis.“

Am Abend des 7. November setzte die Region Stuttgart in der Sitzung des Verkehrsausschusses kurz vor Schluss im Tagesordnungspunkt „Sonstiges“ durch Regionalpräsident Bopp und Wirtschaftsdirektor Wurmthaler überraschend das Thema neuer Filderbahnhof und die Mehrkosten auf die Agenda. Der Antrag der Linken, dieses Thema in die Regionalversammlung zu verweisen und dort ordentlich zu verhandeln, fand lediglich die Unterstützung der Linken und einiger Grüner. Mit den Stimmen der CDU, SPD, FDP und Freien Wähler hat nun die Region Stuttgart im Lenkungskreis bei zukünftigen Sitzungen faktisch das Verhandlungsmandat erhalten, über die bisherige maximale Beteiligung von 100 Millionen Euro beim Projekt „Stuttgart 21“ hinaus diese auf die Übernahme von anteiligen Mehrkosten aus dem Filderdialog auszudehnen.

Am 9. November ließ Schmiedels Stellvertreterin Rosa Grünstein eine unvorstellare Bombe platzen. So „sei man mit den Grünen nicht verheiratet“, für die teuren Änderungen am Flughafen könne es bei einer Abstimmung im Landtag auch eine Mehrheit ohne die Grünen geben. Im Klartext: Man überlege ernsthaft, zusammen mit der CDU und FDP, die in dieser Frage sofort die Arme in Richtung SPD ausgebreitet hatten, gegen die strikte Beibehaltung des Kostendeckels in dieser Frage zu stimmen – entgegen dem expliziten Koalitionsvertrag (Seite 30) sowie des strikten einstimmigen Kabinettsbeschlusses, das die maximale anteilige Beteiligung des Landes in Höhe von 930,6 Millionen Euro festschreibt. Inzwischen stellte Schmiedel klar, dass man mit den Grünen „Koalitionstreue“ halten und in dieser Frage zusammenhalten würde.

Am gleichen Tag preschte der Vizefraktionschef der SPD im Stuttgarter Gemeinderat Hans H. Pfeifer mit der überraschenden Nachricht vor, wenn die Stadt mehr zahlen müsse, sei es „nicht auszuschließen, dass wir im Gemeinderat (in Sachen Bürgerentscheid, Anmerkung des Autors) einen neuen Beschluss fassen.“ Im Klartext, den im Jahre 2009 mit den Stimmen unter anderem der Befürworter CDU, SPD und der Stimme von Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster gefasste Gemeinderatsbeschluss, dass im Falle von Mehrkosten für die Stadt oberhalb des Kostendeckel hinaus ein Bürgerentscheid durchzuführen sei, ob die Stadt die Mehrkosten übernehmen solle, würde man ggf. auf diesem Wege mit den Stimmen der S 21-Befürworter von CDU, FDP und Freien Wählern wieder aufheben wollen – und das, obwohl die SPD seinerzeit den Antrag selber eingebracht hatte.

Auslöser dieser hektischen Vorkommnisse der letzten Tage war das Ultimatum vom Bahntechnikvorstand Volker Kefer. Darin forderte er die Projektpartner auf, in Sachen Mehrkosten des neuen Flughafenbahnhofs spätestens bis zur nächsten Lenkungskreissitzung am 21. Januar 2013 einig zu werden, ansonsten werde die Bahn die Umsetzung der derzeitigen Antragstrasse verfolgen. Für die Kenner der Stuttgart 21-Szene stellt sich das jedoch als leere Drohung dar, schließlich versucht die Bahn schon seit fast zehn Jahren, die Antragstrasse sowie den Antragsbahnhof auf dem sogenannten Planfeststellungsabschnitt 1.3 genehmigungsfähig zu erhalten und hatte die eingereichten Pläne bisher immer vom Eisenbahnbundesamt (EBA) als nicht genehmigungsfähig zurückbekommen.

Die Bahn beziffert die Mehrkosten für den geänderten Flughafenbahnhof auf 224 Millionen Euro, wobei das Zustandekommen dieser Größe nicht ersichtlich sei. Schließlich würde der neue Bahnhof, der dann parallel in unmittelbarer Nähe des bisherigen S-Bahnhofs sei, nur in 15 Metern Tiefe anstatt wie bei der bisherigen Planung in 25 Metern Tiefe liegen. Die Projektpartner hatten bisher mit einer Mehrkostengröße im Bereich zwischen 70 und 100 Millionen Euro gerechnet.

Mittlerweile wird von der Bahn außerdem noch gefordert, die Kosten für den verbesserten Brandschutz in Höhe von 23 Millionen Euro (simple Sprühnebel-Sprinkleranlagen im Tunnelbahnhof) sowie 80 Millionen Euro sonstige Nachbesserungen, die sich u.a. aus der Schlichtung ergeben haben, irgendwie zu übernehmen und aufzuteilen. Insgesamt wären das dann 327 Millionen Euro. Abgesehen davon, ob diese Kosten wirklich von den Partnern übernommen werden sollten, gibt Brandschutzexperte Keim, der auch den Unfall in Kaprun 2000 untersucht hatte, hinsichtlich des Brandschutzes eine eher heftige Prognose ab: Mit Umsetzung aller geltenden Brandschutzforderungen etwa auf Niveau des Eurotunnels zwischen Frankreich und Großbritannien würde man in einen Projektgesamtkostenbereich zwischen 15 und 20 Milliarden Euro kommen.

Die Grünen im Landtag wären jedenfalls sehr gut beraten, in Sachen Mehrkosten oberhalb des Kostendeckels keinen Jota nachzugeben. Ist diese Büchse der Pandora einmal geöffnet, kann man sie schwerlich wieder schließen. Schließlich hatte die Landesregierung diese Position seit der Regierungsbildung im Mai 2011 durchweg vertreten, auch über die Volksabstimmung am 27. November 2011, die bekanntlich für die Fortsetzung der Finanzierung des Landes zum Projekt ausging, hinaus.

Der Kostendeckel war zudem einer der Hauptprämissen bei der Abstimmung gewesen. Befürchteten Bürgern, die bei den Grünen mit dem Thema „Kosten bei S 21“ immer wieder angeklopft hatten, wurden stets auf den „auf gemeinsamer Position mit der SPD“ festgelegten Kostendeckel verwiesen, worüber hinaus es „keinerlei Landesbeteiligung“ gäbe. Der Kostendeckel ist zudem in der immer noch sehr aktiven Protestbewegung gegen Stuttgart 21 die einzige Beruhigungspille, weshalb die Grünen noch einigermaßen geschont werden. Sollte die SPD hier mit der Opposition im Landtag tatsächlich gegen die Grünen gemeinsame Sache machen, sollten sich die Grünen sehr gut überlegen, ob die SPD in Zukunft noch ein vertrauenswürdiger und verlässlicher Koalitionspartner zumindest in Sachen „Stuttgart 21“ oder der Gang in die Opposition nicht doch besser sei. Entgegen dem Bundestrend genießen die Grünen in Baden-Württemberg immer noch eine ungebrochene Popularität nahe dreißig Prozent.

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