Eisenbahnjournal Zughalt.de

Nachrichten über Eisenbahn und öffentlichen Verkehr

Stuttgart 21 – „Weiter ärgern oder weiter bauen“?

04.10.12 (Kommentar, Stuttgart) Autor:Niklas Luerßen

Unter anderem mit diesem Slogan warben seinerzeit die Projektbefürworter im Abstimmungswahlkampf zur Volksabstimmung (VA) für eine Ablehnung des Ausstiegs des Landes aus der Finanzierung. Doch was ist seit dem bekannten Ausgang dieser VA bezüglich des Projektes Stuttgart 21 weiter geschehen und wie ist der aktuelle Projektstand?

Wir erinnern uns: Am 27.11.2011 wurde das vorläufige Amtliche Endergebnis dieser VA bekanntgegeben. Danach haben landesweit 58,9% das vorgelegte „Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S 21-Kündigungsgesetz)“ abgelehnt (NEIN-Stimmen), demzufolge lediglich 41,1% für dieses Gesetz und damit dem Ausstieg (JA-Stimmen). Auch im Gebiet der Stadt Stuttgart selber fand dieses Gesetz überraschenderweise keine Mehrheit (52,9% NEIN- zu 47,1% JA-Stimmen), also mit einem erheblich knapperen Ergebnis, wobei die in den direkt im Umfeld des Bahnhofs befindlichen Stimmbezirke Mitte, West, Süd und Ost mit einer deutlichen Mehrheit für den Ausstieg votierten – vergleicht man den Anteil der dort Stimmberechtigten mit den dortigen Ergebnissen, wäre sogar für jeden einzelnen der vier Stimmbezirke auch das Zustimmungsquorum von 1/3 der Stimmberechtigten erfüllt gewesen.

Einige Gegner des Projekts werden seit einiger Zeit nicht müde zu betonen, das Volk hätte doch gar nicht über das Projekt an sich abgestimmt, sondern lediglich über die Landesfinanzierung, von daher sei es nach wie vor legitim, dennoch von der grün-roten Landesregierung den Ausstieg aus dem Projekt zu fordern. Es ist jedoch zu einfach, die VA lediglich auf die Bedeutung der Landesfinanzierung herunter zu reden, schließlich hatten die Gegner selber mit dem Slogan „JA zum Ausstieg“ geworben, womit eindeutig das Projekt Stuttgart 21 gemeint war.

Allerdings kann man sehr wohl von einer, auch teils vorsätzlichen, Abgabe falscher Wahlversprechen zur VA seitens der Projektbetreiber und -befürworter sprechen. Von einzelnen wichtigsten Punkten sind es unter anderem:

  1. Die Projektgesamtkosten. Während des VA-Wahlkampfes wurden vor allen Dingen die damaligen prognostizierten Projektkosten in Höhe von 4,088 Mrd. Euro, die schon damals von den Gegnern als zu niedrig kritisiert wurden, und der daraus resultierende Landesanteil von 824 Mio. Euro hervorgehoben (Wahlkampfslogan: „824 Mio. Euro für S21 oder 1,5 Mrd. für nichts“ [Ausstiegskosten, siehe nächster Punkt; Anm. d. Autors]). Mittlerweile wurden in der letzten sogenannten Lenkungskreissitzung im März die offiziellen Projektkosten auf 4,33 Mrd. Euro angehoben und außerdem eine Verzögerung der Fertigstellung von Stuttgart 21 um ein Jahr, also auf 2020, eingeräumt. Der Kostendeckel, bis zu dem die Finanzierung des Projekts auf jeden Fall gesichert ist, liegt gemäß dem Finanzierungsvertrag bei 4,526 Mrd. Euro Gesamtkosten – womit der Landesanteil bei 930,6 Mio. Euro liegen würde – über dieser Gesamtkostenhöhe hinaus bestünde lediglich das Mittel der sogenannten „Sprechklausel“, wonach sich die Partner auf die weitere Finanzierung irgendwie einigen sollten. Auf diese Maximalhöhe von 930,6 Mio. Euro zur Mitfinanzierung des Projekts hatte sich jedoch auch die grün-rote Landesregierung sowohl per Koalitionsvertrag als auch per späterem Kabinettsbeschluss festgelegt. Erfahrungen aus anderen Projekten mit der Deutschen Bahn als Bauherrin zeigen jedoch, dass sich die Gesamtkosten gerne um fast das Doppelte erhöhen und keines der Projekte ist auch nur annähernd so anspruchsvoll und aufwendig wie Stuttgart 21 gewesen. Keinen Tag nach der VA stellte Bahnchef Dr. Rüdiger Grube jedoch klar, dass er erwarte, dass die Finanzierungsvertragspartner an dessen Mitfinanzierung auch bei Überschreitung des Kostendeckels mitwirken, obwohl selbiger während des VA-Wahlkampfes immer als „heilig“ dargestellt wurde.
  2. Die Ausstiegskosten. Es wurde vor allem mit der Begründung von ca. 1,5 Mrd. Euro Ausstiegskosten, die in dem Fall der Verursacher – also das Land Baden-Württemberg – zahlen müsse, Stimmung für die Ablehnung des Ausstiegsgesetzes gemacht. Darin sind viele Planungs-, Vergabe- und vor allen Dingen als größten Batzen die „Rückkaufkosten“ des Gleisvorfeldes von der Stadt Stuttgart enthalten, dessen Flächen die Bahn im Falle des Abbruchs von Stuttgart 21 wieder von der Stadt zurückkaufen müsste. Die Bahn und die Stadt haben nämlich im Jahre 2001, um das seit 1998 auf Eis gelegte Projekt wieder zu beleben, einen Kaufvertrag geschlossen. Demnach kauft die Stadt Stuttgart von der Bahn für 459 Mio. Euro das Gleisvorfeld mit der Maßgabe, es ab 2010 nutzen zu können. Dieser Zeitraum wurde später auf 2020 verlängert. Die Stadt erklärte gleichermaßen für diesen Zeitraum, wo sie über das Gelände also noch nicht verfügen kann, einen Zinsverzicht von der Bahn. Das ist auch der Grund, womit die Bahn während der Stresstestpräsentation im Juli 2011 massive Mehrkosten bei weiteren Verzögerungen der Bauvergaben begründet hatte, weil sie dann auch anfallende Zinsen an die Stadt würde zahlen müssen, wenn der Bau später als im Jahr 2020 fertig werden sollte. Muss das Geschäft aus welchen Gründen auch immer rückabgewickelt werden (Stuttgart 21 wird nicht mehr umgesetzt, Gleisvorfeld kann aus eisenbahnrechtlichen Gründen (u.a. wegen der als wahrscheinlich geltende versagte Entwidmung (Freistellung von Bahnbetriebszwecken) nach §23 AEG wegen nach wie vor vorhandenem Verkehrsbedürfnis) nicht vollständig freigeräumt werden dürfen, oder andere diesbezügliche Gründe), muss die Bahn von der Stadt die Flächen (anteilsmäßig) zurückkaufen, und zwar zum damaligen Kaufpreis plus 5,5% Zinsen pro Jahr. Für die gesamten Flächen wären das zum Zeitpunkt der VA insgesamt ca. 780 Mio. Euro gewesen.

    Allerdings wäre es mehr als fraglich gewesen, ob man diesen Posten in die erstattungspflichtige Ausstiegskostenrechnung hätte buchen können, denn es hätte sich hier um eine klassische Rückabwicklung des Geschäftes zwischen Bahn und Stadt gehandelt, denn das Land hatte ja beim damaligen Kaufvertrag kein Geld erhalten, ja war nichtmal Partner des Geschäfts gewesen. Auch verschiedene Planungskosten sowie Ausstiegskosten von bereits vergebenen Aufträgen waren deutlich überhöht dargestellt, denn erstattungspflichtig wären höchstens die tatsächlichen Planungskosten sowie die von den Baufirmen bereits tatsächlich verursachte Aufwendungen und der im Rechtsstreitfalle nachweispflichtige bilanzierte sogenannte „entgangene Gewinn“ gewesen; teilweise hätte man auch mit Ersatzaufträgen die Schadensersatzsumme weiter erniedrigen können – so verlangen die Offenburger beispielsweise auf dem Neubaustreckenabschnitt Karlsruhe – Basel seit längerer Zeit einen Tunnel im Stadtgebiet, um den befürchteten Güterzuglärm herauszuhalten.

    Der Diplom-Ingenieur Hans Heydemann von den „Ingenieuren 22“ ermittelte die tatsächlich angefallenen Ausstiegskosten auf etwa 300 Mio. Euro und das sei schon eine sehr großzügige aufgerundete Rechnung gewesen. Jener hatte auch in der Vergangenheit bereits die Schäden, die einige Gegner bei der sogenannten „GWM-Baustellenbesichtigung“ am 20.06.2011 verursacht hatten, auf etwa 65.000 Euro begutachtet, während die Bahn und verschiedene Baufirmen noch in der selben Nacht euphorisch von einem sogenannten „Millionenschaden“ (1,5 Mio. Euro) gesprochen und – es konnte denen nicht schnell genug damit gehen – über den Presseäther gejagt hatten. Tatsächlich sind später die ersten Strafbefehle diesbezüglich wegen eines Sachschadens von etwa 96.000 Euro ausgestellt worden, also noch nicht mal ein Fünfzehntel des behaupteten „Millionenschadens“, hier war die Presse leider nicht mehr so informationsfreudig. Man kann sich also ein ungefähres Bild davon machen, wer näher an der tatsächlichen Summe lag und vermutlich im Fall der Ausstiegskosten auch gelegen hätte, was sich heute wohl nicht mehr feststellen lassen wird.

    Der Punkt „Ausstiegskosten“ ist deshalb auch so wichtig zu betonen, weil gemäß einer repräsentativen Umfrage des SWR einige Zeit nach der VA für eine sehr große Mehrheit (43%) der NEIN-Abstimmer die kommunizierten Ausstiegskosten der Hauptgrund gewesen sind; lediglich für 16% waren bessere und schnellere Zugverbindungen der Grund für ihre NEIN-Stimme gewesen.

  3. Die Behauptung, Stuttgart 21 würde keinen negativen Einfluss auf andere Infrastrukturprojekte haben. Der CDU-Vorsitzende der Landtagsfraktion, Peter Hauk, sagte zu gegenteiligen Behauptungen, vorwiegend von Gegnern, einst: „Solcherlei Behauptungen seien völlig kokolores. Es fehlt überhaupt nichts“.

    Knapp anderthalb Wochen nach der VA sickerte aus dem Bundesverkehrsministerium durch, dass verschiedene Projekte im Bundesverkehrswegeplan in der Priorität nach hinten gerutscht oder sogar vorläufig auf Eis gelegt wurden. So wurde der Ausbau und die Elektrifizierung der Südbahn im Investitionsrahmenplan unter „ferner liefen“ (sogenannter Abschnitt D) eingestellt; erst als man dort erkannte, was für ein gefährliches politisches Ei man sich da ins Nest legen würde (immerhin hatten vor allen die Südbahnanrainer mit dem Versprechen der Elektrifizierung und schnellerer Verbindungen nach Stuttgart am meisten mit NEIN gestimmt, in Biberach sogar fast 75%), wurde sie doch noch nachträglich eine Stufe hochgestuft.

    Der Ausbau der Gäubahn (Stuttgart – Singen – Schaffhausen) lässt nach wie vor auf sich warten. Obwohl den Anwohnern sogar mittels einer Sonderzugveranstaltung, an der auch Grube teilnahm, suggeriert wurde, dass nach der VA zum Ausstiegsgesetz bald zügig losgelegt werden könnte – ja unterschwellig wurde gar Stuttgart 21 als notwendig hierfür suggeriert – verschiebt sich der Ausbau nun Jahr um Jahr, obwohl sich Deutschland in einem Staatsvertrag mit der Schweiz verpflichtet hatte, durch geeignete Ausbaumaßnahmen die Gesamtfahrzeit Stuttgart – Zürich auf eine zweieinviertel Stunde zu drücken. Nun steht aufgrund der Radsatzproblematik sogar nichtmal mehr fest, wann die Neigetechnik-ICE zurückkehren können. Die Schweizer werden übrigens dieses Jahr mit ihren Ausbauarbeiten komplett auf ihrem Abschnitt (Schaffhausen – Zürich) fertig werden.

    Auch der Ausbau der Rheintalbahn (Karlsruhe – Basel) wird keinesfalls mehr vor 2020 komplett fertiggestellt, und zwar aus finanziellen Gründen. Denn vor allem der sogenannte Rastatter Tunnel ist seit 1998 planfestgestellt und damit mit Baurecht versehen. Auch hier verpflichtet der Staatsvertrag mit der Schweiz eigentlich eine Fertigstellung der Gesamtstrecke bis 2016.

    Auch eine (Teil-)Elektrifizierung der Hochrheinbahn (Basel – Waldshut – Schaffhausen) ab 2016 ist nicht mehr gesichert.

    Die Neubaustrecke Mannheim – Frankfurt droht, auf Eis gelegt zu werden, zumindest aber sich massiv zu verzögern. Damit verschiebt sich auch entsprechend der Ausbau der S-Bahn Rhein-Neckar, weil deren Ausbau vor allem zusätzliche Trassen Richtung Biblis und Darmstadt voraussetzt, die durch die Verlegung der Fernverkehrszüge auf die Neubaustrecke frei werden sollten.

  4. Die Schlichtung. Das Weiterbauen von Stuttgart 21 im Falle des Scheiterns der VA werde auf Basis der seinerzeitigen Schlichtung im November 2010 von Dr. Heiner Geißler erfolgen. So zumindest auch die Befürworter während des Volksabstimmungswahlkampfes. Immerhin hatten auch sämtliche involvierten Projektpartner (Bahn, Land, Stadt) die Schlichtung akzeptiert.

    Auszüge und Ergebnisse aus dem Schlichterspruch:

    „1. Die durch den Gleisabbau frei werdenden Grundstücke werden der Grundstücksspekulation entzogen und daher in eine Stiftung überführt, in deren Stiftungszweck folgende Ziele festgeschrieben werden müssen: Erhaltung einer Frischluftschneise für die Stuttgarter Innenstadt. – Die übrigen Flächen müssen ökologisch, familien- und kinderfreundlich, mehrgenerationengerecht, barrierefrei und zu erschwinglichen Preisen bebaut werden. Für notwendig halte ich eine offene Parkanlage mit großen Schotterflächen“

    Formell existiert zwar eine Stiftung Rosenstein, allerdings sei es aus rechtlichen Gründen nicht möglich, die Grundstücke „kostenlos“ in dieser unterzubringen. Von erschwinglichen Preisen redet keiner mehr, wenn man etwa die anvisierten Mieten am Pariser Platz und die Entwürfe ansieht.

    „2. Die Bäume im Schloßgarten bleiben erhalten. Es dürfen nur diejenigen Bäume gefällt werden, die ohnehin wegen Krankheiten, Altersschwäche in der nächsten Zeit absterben würden. Wenn Bäume durch den Neubau existentiell gefährdet sind, werden sie in eine geeignete Zone verpflanzt. Die Stadt sollte für diese Entscheidungen ein Mediationsverfahren mit Bürgerbeteiligung vorsehen.“

    Das Ergebnis ist bekannt. Viele, auch gesunde, Bäume wurden gefällt. Die einzelnen Verpflanzungen, die stattgefunden haben, kann man ohne schlechtes Gewissen als sogenannte Alibiverpflanzungen ansehen, weil es meist kleinere, mit weniger Aufwand, zu verpflanzende Bäume gewesen sind. Das sogenannte Mediationsverfahren der Stadt, das im Dezember 2011 stattfand, war faktisch ohne Bürgerbeteiligung, weil diese nur übers Internet präsentiert wurde und man anschließende Fragen an diese Runde nur über einen „Sammler“ stellen konnte, der selbstverständlich aufgrund der Menge nur ausgewählte Fragen bearbeiten und beantworten ließ.

    „3. Die Gäubahn bleibt aus landschaftlichen, ökologischen und verkehrlichen Gesichtspunkten erhalten und wird leistungsfähig, z.B. über den Bahnhof Feuerbach, an den Tiefbahnhof angebunden.“

    In den aktuellen offiziellen Planunterlagen der Bahn und auch in der zwischenzeitlich erfolgten Vergabe des Feuerbachtunnels ist kein unterirdischer Anschluss oder wenigstens eine Bauvorleistung für einen späteren Anschluss der Gäubahn an den Tiefbahnhof vorgesehen. Man kann also derzeit davon ausgehen, dass diese in Höhe des Nordbahnhofs abgeklemmt wird.

    Für die Lösung der Frage des Flughafenanschlusses gab es beim sogenannten Filderdialog sogar einen Mehrheitsbeschluss, die Gäubahn zu erhalten und leistungsfähig an den Stuttgarter Hbf anzuschließen (womit sowohl S21 oder K21 gemeint sein könnte), dafür in Stuttgart-Vaihingen einen Halt für Regional- und ggf. Fernverkehrszüge einzurichten, um einmalig und schnell in die S-Bahn sowohl zum Flughafen als auch in die Innenstadt umzusteigen. Dieser Beschluss wurde jedoch ignoriert und die Ignorierung wurde sogar durch das Verkehrsministerium mitgetragen, obwohl dieses ursprünglich sogar die Idee mit dem Erhalt der Gäubahn sowie Regionalhalt Stuttgart-Vaihingen ins Spiel gebracht hatte.

    „4. Im Bahnhof selber wird die Verkehrssicherheit entscheidend verbessert. Im Interesse von Behinderten, Familien mit Kindern, älteren und kranken Menschen müssen die Durchgänge gemessen an der bisherigen Planfeststellung verbreitert, die Fluchtwege sind barrierefrei zu machen.

    5. Die bisher vorgesehenen Maßnahmen im Bahnhof und in den Tunnels zum Brandschutz und zur Entrauchung müssen verbessert werden. Die Vorschläge der Stuttgarter Feuerwehr werden berücksichtigt.“

    An diesen bemängelten Dingen gab es bisher keine Planänderung. Auch hinsichtlich der massivsten Bedenken der Stuttgarter Feuerwehr konnten bisher lediglich 4 der 16 Punkte geklärt bzw. ausgeräumt werden.

    „12. Die Deutsche Bahn AG verpflichtet sich, einen Streßtest für den geplanten Bahnknoten Stuttgart 21 anhand einer Simulation durchzuführen. Sie muß dabei den Nachweis führen, daß ein Fahrplan mit 30 Prozent Leistungszuwachs in der Spitzenstunde mit guter Betriebsqualität möglich ist. Dabei müssen anerkannte Standards des Bahnverkehrs für Zugfolgen, Haltezeiten und Fahrzeiten zur Anwendung kommen. Auch für den Fall einer Sperrung des S-Bahn-Tunnels oder des Fildertunnels muß ein funktionierendes Notfallkonzept vorgelegt werden. Die Projektträger verpflichten sich, alle Ergänzungen der Infrastruktur, die sich aus den Ergebnissen der Simulation als notwendig erweisen, bis zur Inbetriebnahme von S 21 herzustellen. Welche der von mir vorgeschlagenen Baumaßnahmen zur Verbesserung der Strecken bis zur Inbetriebnahme von S 21 realisiert werden, hängt von den Ergebnissen der Simulation ab.“

    Es gab einen Stresstest und dieser führte bekanntlich zum Ergebnis, dass mit dem vorgelegten Stresstestfahrplan mit Müh und Not bei „wirtschaftlich optimaler Qualität“ und unter Nutzung etlicher Doppelbelegungen am Bahnsteig 49 Züge pro Stunde abgefertigt werden könnten. Direkt zum Zeitpunkt der VA wurde der Stresstest allerdings von einer Gruppe von Wissenschaftlern, die sich unter dem Namen „WikiReal“ zusammengeschlossen haben, unter Führung von Dr. Christoph Engelhardt angezweifelt. Unter anderem durch Umkopieren von Bahnrichtlinien sowie Kappungen von Unregelmäßigkeiten ab einigen Minuten wäre das Ergebnis stark verzerrt und merkwürdigerweise jede Ungenauigkeit zugunsten der Bahn ausgegangen. Eine hiervon unabhängige Untersuchung des „Eisenbahnrevue International“ kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Direkt vor der Parkräumung am 15.02.2012 kam außerdem auch noch das Bekanntwerden eines Softwarefehlers der Stresstestsoftware hinzu, wo simulationstechnisch das Ausfahrsignal erst bei der Abfahrtszeit gestellt werde, während es real bereits bei Einfahrt oder nach Bereitstellung des Zuges erfolgen würde. Hierdurch sind dem Fahrweg kreuzende Verkehrswege zur Benutzung anderer Züge möglich, die im Realen nicht möglich sind. Die Bahn bezeichnete dies als sogenannte „Modellunschärfe“.

    Ergebnis des ganzen war der bekannte aus diesen und weiteren Teilen bestehende Schlichterspruch, dessen Produkt Geißler selbst als „Stuttgart 21 Plus“ bezeichnet hatte. Nur: Projektbetreiber und -befürworter scheinen heute nichts mehr davon wissen zu wollen – der Begriff „S 21+“ jedenfalls ist seit langer Zeit nicht mehr irgendwo gefallen.

    Nach der Stresstestpräsentation im Juli 2011 legte Geißler ein Kompromisspapier „Frieden in Stuttgart“ unter dem Arbeitstitel „SK 2.2“ vor, was vorsah, den unterirdischen Bahnhof nur noch mit vier Gleisen und als Anschlüsse nur den Feuerbach- und Fildertunnel zu bauen. Der Kopfbahnhof würde in einer verkleinerten Version mit 10 Gleisen bestehen bleiben. Während die Befürworter inklusive SPD diesen Vorschlag sofort ablehnten, erklärten sich die Gegner zwar sehr kritisch, aber immerhin bereit, diesen wenigstens zu prüfen.

  5. Die Leistungsfähigkeit. Beworben wurde die Leistungsfähigkeit des Projektes in der Vergangenheit, zum Zeitpunkt des Planfeststellungsverfahrens sowie zur VGH-Klage im Jahre 2006 immer mit „doppelt so hoch gegenüber dem gegenwärtigen Bahnhof“. Als Grundlage diente ein Gutachten von Prof. Martin, das sich im Nachhinein jedoch als nicht stichhaltig genug herausstellte, weil er dort mit pauschalen Haltezeiten von einer Minute gerechnet hatte. Später ging man immerhin noch von 50% Steigerung, in der Schlichtung dann von 30% Steigerung aus. Allerdings wurde im Stresstest nur untersucht, ob gegenüber dem derzeitig gefahrenen Fahrplanangebot und nicht der tatsächlichen Kapazität des derzeitigen Kopfbahnhofs eine 30%ige Steigerung ergeben würde.

    Ein vollständig privat finanziertes Gutachten beim Gutachterbüro Vieregg & Rössler in Höhe von mehreren zehntausend Euro ergab, dass der derzeitige Kopfbahnhof 50 Züge in der Stunde schaffen würde, mit Signalausbauten Richtung Zuffenhausen sogar bis zu 56 Züge pro Stunde. Dies wären – angenommen, der Stresstest wäre insoweit in Ordnung – immerhin immer noch 1-7 mehr Züge in der Stunde, damit wäre der neue Tiefbahnhof ein kapazitiver Rückbau und bedürfe eines genehmigungspflichtigen Verfahrens nach §11 AEG. Genährt wird die Annahme der Leistungsverringerung auch noch durch eine zu Tage getretene sogenannte Personenstromanalyse der Deutschen Bahn aus dem Jahre 1997, die seitdem zweimal angepasst wurde, allerdings hinsichtlich der Prämissen nicht wesentlich anders. Dort wurden die Personenströme bei 30 Zügen pro Stunde untersucht. Warum untersucht man lediglich 30 Züge in der Stunde, wenn man doch vorhat, in der Spitzenstunde/Hauptverkehrszeit mit 49 Zügen pro Stunde zu fahren?

Das alles (und sicherlich noch einiges mehr) sind wesentliche Punkte, warum man die (moralische) Bindung dieser an die Zustimmung zum Projekt Stuttgart 21 hinterfragen kann, denn die Frage darf schon gestellt werden, wie die Bevölkerung darüber abgestimmt hätte, wenn dies alles in der breiten Bevölkerung bekannt gewesen wäre. Das Problem war auch, dass die Gegner kaum Möglichkeit hatten, es in den offiziellen Medien (Fernsehen, Zeitungen) zu verbreiten, da die Chefs und Fernsehräte aus alter Regierungszeit immer noch „schwarz gefärbt“ sind und solcherlei Berichterstattungen daher gerne verhinderten oder auf die berühmt-berüchtigte „vorletzte Seite“ als Vierzeiler verbannten. Die Gegner mussten also mit eigenen Geld Kampagnen ins Leben rufen und in Eigenregie aufs Land rausfahren oder lokale Initiativen gründen, wodurch man naturgemäß nur ein Bruchteil des Landes abdecken konnte. Auch mit der Unterstützung durch die Grünen sah es sehr mau aus – entgegen den Versprechungen zur Wahlkampfzeit zur Landtagswahl 2011, wonach hochdekorierte Grüne wie Kretschmann im Falle einer VA persönlich aufs Land rausfahren und die Leute über die Machenschaften des Projekts aufklären wollen; tatsächlich weilte er während der Heißen Phase des VA-Wahlkampfes bei Firmen oder im Ausland – während die Befürworter durch ein Netzwerk aus CDU, IHK, Landräten und anderer Lobbyisten „aus den Vollen schöpfen konnten“. Alleine die Region Stuttgart stellte hierfür sogenannte Werbegelder in Höhe von 1 Million Euro zur Verfügung, die nichtmal vollständig ausgeschöpft werden konnten. Außerdem schickte Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) noch einige Tage vor der VA auf Kosten der Stadtkasse einen sogenannten „Schusterbrief“ mit den Daten aus dem Einwohnermeldeamt (!) an alle abstimmungsberechtigten Stuttgarter und warb mit den bekannten Parolen „Ausstiegskosten“, „leistungsfähiger Bahnknoten“ und „Investitionssicherheit“ erneut flammend für eine NEIN-Stimme.

Nach dem Stattfinden der VA hatte sich in einer landesweiten Umfrage die überwiegende Mehrheit der Befragten – egal, ob Befürworter oder Gegner – dafür ausgesprochen, die VA zu achten und die Bahn solle nun schnell, schmerzlos und ohne weitere Verzögerungen bauen. Doch passiert dies aktuell?

 

Verlassen wir mal die Ebene der VA und schauen uns mal an, wie weit der Baufortschritt seitdem so gediehen ist. Im Januar erfolgte eine Räumung des Südflügels sowie der Beginn des Abrisses desselben. Auf massivem Druck der Bahn mit der Begründung, dass ansonsten unzumutbare Bauzeitverzögerungen stattfinden würden, wurde noch am 15. Februar mit einer Tausendschaft von ca. 9000 Polizisten der Park geräumt, damit noch innerhalb der sogenannten Vegetationsperiode (1. Oktober – 28./29. Februar) die Bäume gefällt oder versetzt werden können, was nur in diesem Zeitraum erlaubt ist.

Während des Abrisses des Südflügels passierte eine folgenschwere Panne: Versehentlich wurde auf dem Bahnsteig für die Gleise 15/16 eine tragende Säule des Bahnsteigdachs zerstört, so dass sich das Dach an dieser Stelle stark verzog und der Bahnsteig für eine längere Zeit gesperrt werden musste. Wieder ein Beweis für die Leistungsfähigkeit und Nichtauslastung des derzeitigen Bahnhofs: Während der Sperrung und damit notwendigen Umleitung der normalerweise dort ankommenden und abfahrenden Züge auf andere Gleise gab es keine Beeinträchtigung des übrigen Zugverkehrs.

Nun stellt sich heraus, dass das Handeln im Mittleren Schloßgarten vorschnell gewesen ist. Das ursprüngliche Grundwassermanagement (GWM), dessen Fläche in einer unverhältnismäßigen Polizeiaktion am 30.09.2010 auch mit Wasserwerfern geräumt wurde, wurde per VGH-Urteil im Dezember 2011 vorerst für illegal erklärt, da die vorgeschriebene verbandsrechtliche Beteiligung, hier des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz), nicht erfolgt sei. Vielmehr hatte der BUND nur rein zufällig von der 5. Planänderung erfahren, denn dieser war damals nicht über die Änderung wenigstens auch nur unterrichtet worden.
Selbst wenn das alte GWM ab morgen wieder weitergebaut werden dürfte, nach Auskunft der Bahn in der Vergangenheit würde das noch mehrere Monate dauern und die Test- und „Justierungsphase“ würde nach Fertigstellung des GWM dann noch ein Jahr dauern. Das heißt, man hätte den Stuttgartern ein bis zwei Sommer zu früh den Park weggenommen, wie von den Anhängern des Parks auch bemängelt wurde.

Im Juni hatte die Bahn vor dem Technikausschuss der Stadt angekündigt, dass sie eine Erhöhung der abzupumpenden Grundwassermenge von den derzeit genehmigten 3,2 Mio. m³ auf satte mehr als doppelt so hohe 6,8 Mio. m³ Wasser benötigen würde und dies auch beim Eisenbahnbundesamt (EBA) beantragt. Dieses hatte die Bahn überraschenderweise zu einem erweiterten Planänderungsverfahren verdonnert, womit auch ein zeitraubendes Anhörungsverfahren und damit potentielles Klagerecht für Betroffene verbunden ist. Die Bahn hatte ursprünglich damit gerechnet, dass diese Änderung reine Routine sei und lediglich die wasserrechtliche Genehmigung den neuen Gegebenheiten angepasst werden müsste. Eine zweite GWM-Anlage sei auf dem Gelände des ehemaligen Südflügels notwendig, außerdem müssten wohl auch neue Rohre mit einem Durchmesser von 20cm statt den bisherigen 15cm verlegt werden. Bei diesem Verfahren handelt es sich mittlerweile um die 7. Planänderung im Talkessel.

Im Bereich des ehemaligen Nordflügels wurde inzwischen ein großer Bereich abgesperrt und ein großes Bauloch ausgehoben. Dort soll in Zukunft das unterirdische Technikgebäude errichtet werden. Kurz vor Beginn der Bauarbeiten stieg jedoch die Firma Wolff & Müller aus dem Auftrag wegen „zu großem Risikos“ wieder aus, und das, obwohl sie in diesem Baubereich DIE Pioniere sind. Nachdem die von der Bahn unter großem Zeitdruck erneute Ausschreibung an eine Bietergemeinschaft aus Fischer GmbH und Kellerbau GmbH gegangen ist, wurde die Baugrube angefangen auszuheben, nachdem zuvor die seit zwei Jahren dort befindliche Mahnwache der Gegner an die Ecke Schillerstraße/Königsstraße umgezogen ist. Kurz nach Ausschachtung wurde bekannt, dass die Firma Kellerbau GmbH in Insolvenz geht. Einvernehmlich wurde geregelt, dass Kellerbau die Gemeinschaft verlässt und die Fischer GmbH die Bauarbeiten alleine weiter durchführen soll. Allerdings stellt sich die Frage, wie das gehen soll, da vor allem Kellerbau das technische Know-How u.a. für das geplante Technikgebäude hat. Die Firma Fischer ist lediglich ein Fuhrunternehmen: Erdtransport und Abriss. Bei einem so heiklen Bau auf unsicherem Grund, wo auf bis zu 7,5m Tiefe gebaut werden soll und wo sich nicht mal Wolff & Müller die Finger hat dran verbrennen wollen, mit einer Firma, die keinerlei Hoch- und Tiefbauerfahrung hat. Schließlich handelt es sich hier nicht um den einfachen Bau eines Kellers für ein Einfamilienhaus. Auf dem Internetauftritt der Firma Fischer sind jedenfalls keinerlei Referenzen für solche Baumaßnahmen ersichtlich.

Die Bahn plant außerdem aufgrund des Filderdialogs eine Umplanung des Planfeststellungsabschnittes (PFA) 1.3. Demnach soll die dem Fildertunnel anschließende Tunnelstrecke bis zum Anschluss der NBS Wendlingen – Ulm in einen eigenen PFA 1.3a und der Flughafenbahnhof sowie der Anschluss an die Filder- und im weiteren Verlauf über die Rohrer Kurve an die Gäubahn in einen eigenen PFA 1.3b gepackt werden. Das PFA 1.3a soll wie geplant durchgezogen werden, während PFA 1.3b aufgrund der Umplanungen des Flughafenbahnhofs voraussichtlich zwei Jahre später als Stuttgart 21 in Betrieb gehen wird. Wer nun genau aufgepaßt hat, erkennt das Problem: Die Gäubahn ist im Norden nicht mehr an den Stuttgarter Hauptbahnhof angeschlossen, am Flughafenbahnhof aber auch noch nicht an den Fildertunnel. Das bedeutet, dass die Gäubahn faktisch im Norden vom übrigen Eisenbahnnetz abgeschnitten sein wird. Geplant ist wohl ein provisorischer Notbahnsteig in Stuttgart-Vaihingen, wo man zur Weiterfahrt zum Hauptbahnhof sowie zum Flughafen in die S-Bahn umsteigen könne.

Für die zusätzlichen Kosten, die eine Umplanung und der geänderte aufgrund des Filderdialogs am Flughafen vorgesehene Bahnhof anfallen würde, weigern sich die Grünen zur Übernahme. Gemäß dem Kabinettsbeschluss wird nichts oberhalb des Kostendeckels mitfinanziert. Dem Ansinnen der Bahn, hierüber eine separate Finanzierungsvereinbarung außerhalb des offiziellen S21-Budgets abzuschließen, erteilen sie eine klare Absage. Die Grünen sehen die Änderungen als „Mängelbeseitigungen“ und nicht als Zusatzwünsche an. Der Infrastruktur- und Technikvorstand der Bahn, Dr. Volker Kefer, wolle unbedingt eine solche Vereinbarung vor der nächsten Sitzung des sogenannten Lenkungskreises am 22. Oktober, die rein zufälligerweise einen Tag nach einem als sehr wahrscheinlich geltenden notwendigen zweiten Wahlganges des Oberbürgermeisters von Stuttgart stattfinden soll, ansonsten werde die Antragstrasse weiter verfolgt [die schon unzählige Male als nicht genehmigungsfähig vom EBA zurückgekommen ist, Anm. d. Autors].

Am 18. September erschien im Münchner Merkur ein Artikel, demzufolge der Bau eines Straßentunnels bei Garmisch-Partenkirchen „wegen tunnelbau-technisch nicht beherrschbaren geologischen Problemen im Karst unter dem Kalkmassiv des Berges Kramer abgebrochen“ wurde, und zwar nachdem man bereits 2,5 km Tunnelstrecke vorangetrieben hatte. Wie auch bei Stuttgart 21 hatten im Vorfeld etliche Experten vor diesem möglichen Szenario gewarnt, wurden aber unqualifiziert abgekanzelt. Mutmaßlich hatte, so Vieregg & Rössler GmbH, die Süddeutsche Zeitung deshalb nicht darüber berichtet, weil diese ein wichtiges „Propagandaorgan“ für S21 und die NBS Wendlingen – Ulm sei, und vor allem Leser im Raum Stuttgart würden unweigerlich Parallelen zu Stuttgart 21 sowie dem Karstgebirge Schwäbische Alb wegen der NBS ziehen.

Am selben Tag wurde außerdem bekannt, dass die Bahn nun statt mit 3500 Pfählen 300 mehr, also insgesamt 3800 Pfähle zur Gründung des Bahnhofstroges benutzen möchte. Diese so verbesserte Gründung ist laut Bahnangaben sowohl über dem bestehenden S-Bahn-Tunnel, der LBBW sowie den Nesenbachdüker notwendig. Hierbei handelt es sich mittlerweile um die sage und schreibe 11. Planänderung im Talkessels. Dabei wurden der Stadt nichtmal die konkreten Planänderungsunterlagen vorgelegt, sondern lediglich eine Art Präsentation gehalten.

Am 19. September wurde zusätzlich bekannt, dass die Bahn „verbotene Bohrungen“ (so titelte zitatgemäß wirklich die Stuttgarter Zeitung!) vorhaben würde. So plane die Bahn, bis zu sechs Meter tief in sogenannte Grundgipsschichen zu bohren. Diese hindern zusätzlich zum natürlichen Druck des darüber befindlichen Grundwassers derzeit das darunter liegende Mineralwasser daran, in höhere Bodenschichten aufzusteigen; es wirkt quasi wie eine natürliche Dichtung. Dessen Anbohrung hatte das EBA und später auch die Stadt inzwischen strikt untersagt.

Am 19. und 20. September wurde bekannt, dass im Stadt- und Landkreis Heilbronn der Ausbau von 13 und im Hohenlohekreis 14 Landstraßen gestrichen werden würden, im letzteren Landkreis werden zudem 17 weitere Vorhaben zunächst zurückgestellt.

Am 22. September ermittelten Experten einen „wenig tragfähigen Untergrund“. Am Südende Richtung Willy-Brandt-Straße ergäben sich „sehr große Setzungen“. Dort wurde eine rund 40m tiefe Doline gefunden, deren Ausdehnung von den Experten mit „etwa 10 mal 10 Meter“ geschätzt werde. Damit gäbe es Probleme mit der geplanten unterirdischen Lage unterhalb der Stadtbahn im Bereich Staatsgalerie. Eine einfache Beton-Bodenplatte ginge auch nicht, da diese „zu unverträglich großen Setzungen von 5-12 cm führen würde“.
Die Bahn hatte bereits vorbeugend einen Tag vor der Ausschusssitzung der Stadt einen Brief geschickt, wo Alternativen aufgezeigt und ein Verzicht auf die tiefergehende Gründung erklärt werde. Allerdings: Das „wie“ des Baus in den kritischen Bereichen werde von den Experten noch geklärt werden müssen. Gleichzeitig drängt die Bahn das EBA zur raschen Freigabe der geänderten Pläne, damit das Verfahren nicht noch weiter verzögert würde. Das macht deutlich, dass die Bahn mit einem einfachen Abnicken der Genehmigungsbehörden gerechnet habe und nun angesichts des Zeitplanes ins Schwimmen gerät und mit diesem die zuständigen Genehmigungsbehörden unter Druck setzen möchte.

Am 29. September geschah gegen Mittag ein folgenschwerer Unfall. Ein InterCity (IC 2312) nach Hamburg ist gegen Mittags entgleist, und zwar an einer Stelle, wo am 24.07. an exakt der gleichen Stelle exakt die gleiche Zugfahrt entgleist ist. Dabei wurden zwei Oberleitungsmasten umgeknickt, die auf Lok und letzten Wagen fielen, weshalb für Stunden der Strom der Oberleitung abgeschaltet werden musste. Erwähnenswert ist dies deshalb, weil diese und noch einige andere Unfälle der jüngeren Vergangenheit ausgerechnet auf den Schienen- bzw. Weichenstücken ereigneten, die für das Projekt Stuttgart 21 neu eingebaut bzw. verlegt wurden.

Am 1. Oktober legte die Stuttgarter Netz AG (SNAG) die lange erwartete Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart ein, die klären soll, ob die DB Netz AG verpflichtet sein wird, die angestrebten abzureißenden Bahnstrecken auf dem Gleisvorfeld nach Inbetriebnahme von Stuttgart 21 vorher ordentlich nach §11 AEG stilllegen zu lassen, hilfsweise wegen „erheblich verrringerter Kapazität“. Damit unterlägen diese einer durchgehenden dreimonatigen Verkaufspflicht an andere interessierte Eisenbahninfrastrukturunternehmen incl. angemessener Miete für den Gleisanschluss ans restliche Eisenbahnnetz. Dies könnte zu einem großen Problem führen, da der Abriss der Gleise und die Errichtung einer neuen Bebauung darauf als DAS zentrale Finanzierungselement zählt, worauf Stuttgart 21 gegründet ist.

Damit ergäbe sich zusammengefasst:

  • Fildertunnel: Planänderungsverfahren (PFA 1.2)
  • Filderbahnhof: bei Antragstrasse ein Plan, der seit über 10 Jahren nicht genehmigt wird (PFA 1.3)
  • GWM: Erweitertes Planänderungsverfahren mit Anhörung (Teil des PFA 1.1)
  • Fundament des Trogbaus: unklar
  • Baugrund: unklar
  • Abstellbahnhof in Untertürkheim: Stadium der Planfeststellung (PFA 1.6b) noch nicht reif.
  • Tunnel Richtung Feuerbach: Planänderungsverfahren (PFA 1.5)
  • U-Bahn/Zulaufgleise zum Tiefbahnhof: Finanzierung zwischen SSB/DB AG noch unklar; Bauausführung unklar.
  • Ausbau der Gäubahn: Von der DB AG immer wieder verzögert
  • Elektrifizierung der Südbahn: Finanzierung unklar
  • Ulmer Hauptbahnhof: Wegfall des 5. Gleises aus Kostengründen, obwohl die Region dies seit einigen Jahren für die zukünftige S-Bahn Ulm haben möchte

Es stellt sich automatisch die Frage, was diese Änderungen und Verzögerungen kosten werden und ob es noch möglich ist, das gesamte Projekt im Rahmen des Kostendeckels sowie des Zeitplans zu realisieren. Ein jeder Leser möge sich selber seine Meinung darüber bilden, inwieweit es sich bei diesem Projekt noch um das „bestgeplanteste Projekt überhaupt in der Eisenbahngeschichte Deutschlands“ handelt, wie Grubes Vorgänger Mehdorn gerne zitiert wird, wenn bereits sowas simples wie eine mögliche Stillegungs- oder Entwidmungspflicht übersehen wird. Es steht zu befürchten, dass sich das Projekt hinsichtlich der Pannen und Kostensteigerungen im Endeffekt in die Reihe der Elbphilharmonie in Hamburg und den Großflughafen Berlin-Brandenburg einreihen wird.

Um auf die Frage aus dem Volksabstimmungsslogen „Weiter bauen statt weiter ärgern?“ zurückzukommen, ließe sich diese aktuell wie folgt beantworten: „Weiter bauen und weiter ärgern!“

Kommentare sind geschlossen.