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Interview mit Alexander Kirfel (4): Die Eisenbahnreform ist in Deutschland auf halbem Weg steckengeblieben

18.10.12 (Allgemein) Autor:Stefan Hennigfeld

Alexander Kirfel (43) ist seit dem 1. Februar 2010 Geschäftsführer beim Netzwerk Europäischer Eisenbahnen. Seit seinem ersten juristischen Staatsexamen arbeitet er in der Eisenbahnbranche und gilt als unumstrittener Fachmann. Mit dem Eisenbahnjournal Zughalt.de sprach er über die Marktsituation im SPNV, die S-Bahn Berlin, das Elektronetz Nord und Direktvergaben im Stadtbusverkehr.

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, Verkehrsverträge zu gestalten. Vieles hat damit zu tun, wie sehr das Eisenbahnverkehrsunternehmen ein wirtschaftliches Eigeninteresse an zufriedenen Kunden hat. Wie sehen Sie das?

Grundsätzlich sind wir für Nettoverträge. Dafür müssen die Betreiber aber die Möglichkeit haben, die Einnahmeaufteilung zu beeinflussen. Wenn es einen Pauschalvertrag mit DB Vertrieb gibt, wobei sämtliche Erlöse zunächst einmal dort vereinnahmt und dann verteilt werden, ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Auch so kann man den Wettbewerb klein halten. In der derzeitigen Konstellation ist es aber leider so, dass der Bruttovertrag den Wettbewerb befördert.

Ist es nicht auch so, dass DB Regio in Nettoverträgen immer etwas genauer kalkulieren kann?

Ja, derzeit ist das so. Da die Einnahmen in vielen Fällen pauschal über DB Vertrieb abgerechnet werden, kennt man innerhalb des Hauses die Erlöse natürlich genau. Da haben wir dann zudem die Frage, wie es denn mit den RES-Zahlen aussieht. Wenn der Aufgabenträger diese Zahlen nicht zu Gesicht bekommt, hat DB Regio selbstverständlich den Vorteil.

Sie sind der Ansicht, dass man auf nationaler Ebene vom integrierten Konzern weg muss?

Nicht nur deshalb. Der integrierte Konzern verhindert Transparenz. Niemand, nicht mal das Bundesverkehrsministerium kennt die Geldflüsse innerhalb des Konzerns. Wenn man sich dort mit hochrangigen Mitarbeitern unterhält: Die wissen nicht, was im Konzern passiert.

Liegt das vielleicht auch daran, dass die Macht, die die DB AG unter Bahnchef Mehdorn vom damaligen Bundeskanzler Schröder (SPD) gekriegt hat, dafür gesorgt hat, dass diese DB AG bis heute Verkehrspolitiker vor sich hertreiben kann?

Das spielt sicherlich alles zusammen. Ich halte es für äußerst ungut, dass man die Tochtergesellschaften der DB AG bzw. die DB AG selbst als Aktiengesellschaft ausgestaltet hat, weil der Vorstand einer Aktiengesellschaft relativ frei schalten und walten kann, wie er möchte. Kontrolliert wird er dabei nur durch den Aufsichtsrat als Kontrollgremium. Man kann geteilter Meinung darüber sein, wie viel Kontrolle hier wirklich ausgeübt werden kann.

Die DB AG kann mit Silberlingen fahren, weil ihr das Rollmaterial aus den Beständen der Deutschen Bundesbahn bei ihrer Gründung geschenkt worden ist. Wie sehen Sie das?

Das war ein ordnungspolitischer Fehler. Eigentlich hätte man damals schon einen Fahrzeugpool aus diesen Beständen bilden müssen. Sei es, dass man sie den Aufgabenträgern zur Verfügung gestellt hätte oder aber an private Besitzgesellschaften verkauft – womit man auch die Schuldenlast des Bundeseisenbahnvermögens deutlich hätte reduzieren können. Die Eisenbahnreform ist in Deutschland auf halbem Weg steckengeblieben. Es gab Erfolge in den Anfangsjahren durch den Wettbewerb, aber jetzt stößt es an seine Grenzen. Im SPNV gewinnt DB Regio mittlerweile das Gros der Ausschreibungen – das kommt alles nicht von ungefähr. Es wird höchste Zeit, gegenzusteuern. Perspektivisch müsste jetzt die Trennung von Netz und Betrieb kommen, falls man das nicht will, müssten die Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge gekappt werden, um Diskriminierungsanreize zu unterbinden.

Wie bewerten Sie, dass manche Aufgabenträger Fernverkehrsleistungen alimentieren?

Das ist der eigentliche Skandal. Entweder es gibt eigenwirtschaftlichen Fernverkehr oder bestellten Regionalverkehr – unter Anwendung des bestehenden Vergaberechts. Zwittermodelle sind nicht akzeptabel, da wird es pervers.

Halten Sie das Konzept in Niedersachsen für vergaberechtswidrig?

Die Annahme liegt nah.

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Bild: Netzwerk Europäischer Eisenbahnen

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