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ÖV-Branche: Peinliche Selbstbeweihräucherung trotz katastrophalem Modal Split

06.09.12 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Man kann nur das Blatt spielen, das man auf der Hand hat. Der VDV tut das mit Bravour und versteht es, einen seit Jahrzehnten stagnierenden Marktanteil als Erfolg zu verkaufen. Mit der Realität hat das wenig zu tun und doch; die Botschaft dringt durch. Bus und Bahn werden immer beliebter. Bei genauerem Hinsehen wird klar: Das Gegenteil ist der Fall. Bus und Bahn sind heute genauso wenig wettbewerbsfähig wie vor zwanzig Jahren.

Dabei kann man der Politik sicher viele Vorwürfe machen: Desinteresse, die daraus folgende Tatsache, dass Schienenpolitik immer auch Unternehmenspolitik der DB AG ist, eine hohe Autoaffinität; all das ist Realität. Es ist jedoch schwer zu verstehen, dass ein System Eisenbahn, das den Steuerzahler summa summarum rund zwanzig Milliarden Euro im Jahr kostet, aber im Personenverkehr nur drei Prozent der Verkehrsleistung erbringt, unterfinanziert sein soll.

Keine Frage: Die Altlasten der Behördenbahn kann man nicht dem Eisenbahnsektor heute ankreiden und dass Mobilität kostet, ist ebenfalls nichts neues. Die Regionalisierungsgelder sind dazu da, um Leistungen zur öffentlichen Daseinsvorsorge zu bestellen. Aber es besteht ein Missverhältnis zwischen dem Anteil der Eisenbahn am Verkehrsetat und dem Anteil der Eisenbahn am Modal Split. Der Marktanteil ist nicht nur der interessantere, sondern sogar der einzig relevante Wert. Das absolute Fahrgastaufkommen ist lediglich eine Kennziffer zur Berechnung der „Gefäßgröße“, wie man die Kapazität branchenintern nennt.

Doch wer regelmäßig die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt, der kennt die Probleme: Man ist manchmal doppelt oder dreimal so lange unterwegs wie der Autofahrer. Zwischen Bochum und Wuppertal oder Dortmund und Siegen kann die Bahn zeitmäßig allenfalls mit dem Fahrrad mithalten – aber auch nur an guten Tagen.

Von Fahrten zur vermeintlichen Tagesrandlage einmal ganz zu schweigen. Wer schon einmal das Vergnügen hatte, aus Siegen kommend in Hagen nach 20 Uhr eine halbe Stunde auf die Weiterfahrt ins Ruhrgebiet zu warten, weil der RE 16 abends dort endet, der kennt das Problem. Überhaupt, wie ist das eigentlich mit Schichtarbeitern? Wenn man sich vor Augen hält, dass im größten deutschen Verkehrsverbund, dem VRR, sonntags morgens bis acht Uhr Nachtfahrplan gilt, dann ist es nicht verwunderlich, dass der Marktanteil nicht besser wird.

Man stelle sich mal jemanden vor, der im richtigen Dreischicht-System arbeitet. Der braucht auf jeden Fall ein Auto, weil er sonntags ansonsten nicht zur Frühschicht kommt. Und wer ohnehin ein Auto hat, der lässt das nicht stehen, um aus purem Idealismus öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen – gerade wenn er dann deutlich länger unterwegs ist. Je nach Wegstrecke verliert so mancher Arbeitnehmer eine ganze Arbeitswoche Freizeit im Monat, wenn er sein Auto stehen lässt. Wem soll man es dann verübeln?

An dieser Stelle wird klar, dass das Auto nicht aus lauter Schienenfeindlichkeit eine große Rolle in der Verkehrspolitik spielt, sondern weil man schlicht nicht drauf verzichten kann. Für viele Menschen im Land sind Bus und Bahn einfach keine ernsthafte Alternative und deshalb bleiben sie beim Auto. Sieht man davon ab, dass es selbsternannte „Eisenbahnfreunde“ gibt, die glauben, den Autofahrern im Land moralisch überlegen zu sein, bleibt nur eins, nämlich die Erkenntnis, dass Bus und Bahn zu schlecht sind, um im Wettbewerb der Verkehrsträger eine bessere Stellung einnehmen zu können.

Stefan Hennigfeld hat ein VRR-Ticket und nutzt es in den allermeisten Fällen. Er gehört zu der ab 1980 geborenen Altersgruppe, die Demoskopen zufolge besonders geringe Zugangshemmnisse haben. Böse Zungen sagen: Die kennen die Bundesbahn nicht mehr.

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