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Regionaltangente muss Vorrang vor Ausbau der A5 haben

02.08.12 (Hessen) Autor:Niklas Luerßen

Anfang September 2012 fällt in den politischen Gremien die Entscheidung über das weitere Schicksal der Regionaltangente West. Gerüchteweise sickert durch, dass die Gesellschafter aus finanziellen Gründen das endgültige Aus einer für den Hochtaunuskreis unverzichtbaren Schienenverbindung besiegeln. Dies wäre ein herber Rückschlag für die geplante Ansiedlung neuer Dienstleister und Betriebe im Umfeld der Bahnhöfe in Bad Homburg und Oberursel, die auf einen gut funktionierenden ÖPNV und schnelle Verbindungen zum Flughafen Frankfurt setzen.

Die Planer der S-Bahn Rhein-Main, allen vorweg Dr. Walter Dirmeier, haben von Anfang an auch eine zweigeteilte Ringbahn um das Stadtgebiet von Frankfurt am Main vorgesehen, die die umliegenden Mittelzentren und die strahlenförmig auf die City zulaufenden Linien miteinander verbinden soll. Die Regionaltangente West (RTW) ist das erste Teilstück dieser dringend nötigen Ergänzung der S-Bahn Rhein-Main. Die S-Bahn hat sich als Erfolgsmodell herausgestellt und stellt heute unbestritten das Rückgrat des ÖPNV in der Metropolregion Rhein-Main dar. Auf vielen Streckenabschnitten in und um Frankfurt weist der Betrieb einen deutlich positiven Deckungsgrad auf. Die Stammstrecke der S-Bahn stößt in der Hauptverkehrszeit schon lange an ihre Kapazitätsgrenzen. Der Takt im Tunnel ist auf 24 Bewegungen pro Richtung optimiert und kann nicht weiter verdichtet werden.

Zur Entlastung der S-Bahn und um die Fahrgastströme der absehbaren „Nacherdölzeit“ bewältigen zu können, gibt es für den Bau der Regionaltangente West (RTW) keine Alternative. Dazu Wilfried Staub, Pressesprecher des unabhängigen Fahrgastverbandes PRO BAHN Hessen: „Die S-Bahn Zürich geht bis 2015 von einem Fahrgastzuwachs von dreißig Prozent aus, ertüchtig derzeit ihr gesamtes Streckennetz und erweitert die Sitzplatzkapazität durch Beschaffung von Doppelstocktriebwagen. Deutsche Studien, mutmaßlich von der Lobby der Autoindustrie beeinflusst, prognostizieren für die nähere Zukunft ein Plus beim Individualverkehr und ein sattes Minus beim ÖPNV im ländlichen Raum. Lediglich für wenige Ballungszentren gehen die Studien von einer Zunahme in der Hauptverkehrszeit im Bereich von unter fünf Prozent aus“. Diesen Prognosen scheinen die Planer hierzulande offensichtlich ungeprüft Glauben zu schenken. Sie sind auf keinen Fall auf den Ballungsraum Frankfurt übertragbar. Rechnet man aber alleine die jährlichen Fahrgastzuwächse für Frankfurt bis zum Jahr 2025 hoch, so ergibt dies ein Fahrgastplus von zwanzig Prozent. Tritt dieser Fall ein, da ist sich PRO BAHN sicher, bricht der morgendliche Berufsverkehr auf den Tunnelstrecken der S- und Stadtbahn, falls nicht jetzt gegengesteuert wird, restlos zusammen. Schon heute sind dort Verspätungen durch den enormen Fahrgastwechsel an der Tagesordnung.

Die RTW wertet die Wohn-, Dienstleistungs- und Industriestandorte entlang der Strecke, also in Bad Homburg, Oberursel, der Nordweststadt, Eschborn, der westlichen Vororte Frankfurts, dem Industriepark Höchst, Kelsterbach, Flughafen, „Gateway Gardens“, „Stadion“, Neu-Isenburg und Dreieich auf. Die Zahl der erwarteten 15.000 Neukunden für den RMV dürfte langfristig gesehen sogar zu niedrig angesetzt sein, da für viele Fahrgäste die Fahrt mit der RTW zur Arbeit nicht nur schneller und bequemer, sondern auch billiger sein wird, indem das teure Tarifgebiet 50 umfahren werden kann.

Mit einem prognostizierten Nutzen-Kosten-Quotienten von 1,43:1 wird dem Projekt von Verkehrsexperten eine hohe Nachhaltigkeit bescheinigt. Der Betrieb kann mit einem vergleichsweise geringen Aufwand an Fahrzeugen bewältigt werden, da die Fahrgäste in der Regel nur zwischen längstens zwei Umsteigeknoten pendeln. Im Gegensatz zu vielen S-Bahnlinien ist über den Tag gesehen als weiteres Plus von einer ziemlich gleichmäßigen Auslastung der im 15-Minutentakt verkehrenden RTW-Züge auszugehen. Die Linie nutzt weitgehend bestehende Infrastruktur, so dass sich die Baukosten in vertretbarem Rahmen bewegen. Durch den Bau der RTW erhöhen sich zudem die Chancen zur Umsetzung weiterer sinnvoller ÖPNV-Projekte, wie etwa die Tramverlängerungen zum Höchster Bahnhof oder durch Neu Isenburg.

Die Stadt Frankfurt und die anderen Gesellschafter können die Kosten nicht alleine stemmen. Der Bund und insbesondere das Land Hessen sind in der Pflicht, ihre Anteile an den zugesagten investiven Fördermitteln deutlich aufzustocken. Gegebenenfalls muss der parallel geplante achtspurige Ausbau der A 5 auf 37 Kilometer Länge, der allenfalls und wenn überhaupt, nur für täglich zwei Stunden benötigt wird, verschoben und die hierfür geplanten Mittel umgeschichtet werden. RTW und eine ausgebaute Main-Weser-Bahn können soweit zur Reduzierung des Individualverkehrs beitragen, so dass ein weiterer Ausbau der Autobahn gänzlich überflüssig werden könnte.

In einer kürzlich vorgestellten Mobilitätsstudie belegt Hessen in Deutschland bekanntlich den unrühmlichen letzten Platz. Betrachtet man die Initiativen der benachbarten Bundesländer Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg für eine nachhaltige Mobilität als Maßstab des Möglichen und Sinnvollen, so wird das Abschneiden Hessens im Deutschlandvergleich und dessen Nachholbedarf in dieser Studie durchaus nachvollziehbar. Staub nennt in diesem Zusammenhang als Beispiele den Rheinland-Pfalz-Takt 2015 (plus 20 Prozent Zugfahrten) oder die Reaktivierung bzw. Modernisierung von Bahnstrecken im Kraichgau, also selbst in rein ländlich strukturierten Gegenden (VRN S5/S51).

Vierzig Jahre sind seit Offenlegung der ersten Entwurfsskizzen für die Tangentenbahn vergangen. Es wurde viel geredet, manches zerredet und zahlreiche Chancen für eine optimierte Trassierung blieben ungenutzt. Der Vertrag der Gesellschafter mit der von ihnen eingesetzten Planungsgesellschaft wurde letztmalig um ein Jahr verlängert und läuft Ende des Jahres 2012 aus. Die erarbeitete Detailplanung stellt einen, auch bei den Kosten, tragbaren Kompromiss dar. Von PRO BAHN vorgetragene Änderungsvorschläge wurden weitgehend berücksichtigt.

Der Fahrgastverband PRO BAHN Hessen unterstützt daher mit Nachdruck die Forderung der Kommunen entlang der Strecke und verschiedener Verbände, die Planung nun endlich abzuschließen und mit dem längst überfälligen Bau der Regionaltangente West zu beginnen. Ein Scheitern des Projektes würde die Entwicklung des ÖPNV in der Region um mindestens ein Jahrzehnt zurückwerfen und eine Chance für den Ausbau eines zukunftsorientierten ergänzenden Schnellbahnsystems für die Metropolregion Rhein-Main wäre vertan.

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