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Interview mit VDV-Eisenbahngeschäftsführer Martin Henke (Teil 1): Gegen Rabatte im Infrastrukturbereich

26.06.12 (Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Martin Henke (52) ist seit dem 1. April 2000 Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), zunächst für den Güterverkehr, seit 2003 für die gesamte Eisenbahn. Mit dem Eisenbahnjournal Zughalt.de sprach er über die Situation der Eisenbahn und des öffentlichen Verkehrs im Jahr 2012, den schlechten Modal Split, die Wettbewerbssituation und Diskriminierungstatbestände.

Herr Henke, alle Welt redet auch dieser Tage wieder von der Energiewende, dazu gehört auch eine Verkehrswende inklusive Verkehrsverlagerungen auf die Schiene. Wie muss sich die Eisenbahn dafür aufstellen, wie muss die Eisenbahn von morgen aussehen?

Die Eisenbahn ist, mit der Schifffahrt zusammen, der energieeffizienteste Verkehrsträger. Trotzdem müssen SPNV, ÖPNV und Schienengüterverkehr energieeffizienter werden. Dafür gibt es eine ganze Reihe an Ansätzen, die auch der VDV unterstützt. Dazu gehört auch, dass man zunächst einmal einen Eindruck gewinnt, welchen Energiebedarf man denn hat und wie sich dieser in den letzten Jahren entwickelt hat. Ein ganz wichtiger Punkt war die Einführung von Stromzählern auf Elektrotriebfahrzeugen. Die dortigen auch fernabrufbaren Zähler haben dafür gesorgt, dass die Unternehmen sofort sehen, welche Fahrverhaltensweisen zu welchem Energiebedarf führen. Da die Energiekosten zu den Hauptkostentreibern auf der Schiene gehören, ist das sowohl ökonomisch als auch ökologisch ein zentraler Punkt.

Ansätze gibt es auch bei der Dieseltraktion. Beim Stadtbusverkehr ist Hybridtechnologie absolut naheliegend, dass man die Bremsenergie bei den kurzen Haltestellenabständen zum Anfahren nutzt und nicht ´verfliegen´ lässt. Das gilt aber auch im SPNV, auch hier muss die Verbindung zwischen Diesel und Batterie oder auch Diesel und Supercaps gefördert werden. Es gibt da bereits erste Versuche, die dort laufen. Das gilt ausdrücklich auch für den Schienengüterverkehr. Die Mitteldeutsche Eisenbahngesellschaft erhält dort demnächst erstmals eine Hybridlokomotive. Im schweren Rangierdienst werden in den USA heute schon hunderte Lokomotiven mit Hybridtechnologie eingesetzt. Für den leichten Streckendienst ist die Technologie weniger geeignet, aber im schweren Rangierdienst hat man durch eine gewichtige Batterie keinen Nachteil, sondern Vorteile, weil man Haftung braucht, um die Energie auf die Schiene zu bringen.

Die Kombination aus einer großen Batterie und mittleren Industriedieselmotoren hat sich in den Vereinigten Staaten als sehr erfolgreich herausgestellt. Alstom bietet so etwas heute schon an. Im Triebzugbereich ist man heute noch nicht ganz soweit, aber es ist bekannt, dass heute schon daran gearbeitet wird.

Es ist noch nicht lange her, da forderte Keolis-Geschäftsführer Hans Leister im Eisenbahnjournal Zughalt.de die öffentliche Förderung von dieselelektrischen Schienenfahrzeugen, etwa Hybridantrieb im SPNV, gerade etwa im S-Bahnbereich oder auch Akkutriebwagen, die auf elektrifizierten Abschnitten aus der Oberleitung nachladen können.

Auch das ist ganz klar ein Thema. Wir haben uns mit einem ähnlichen Modell beschäftigt. Ich kann mir so etwas auch auf der Schiene vorstellen. Forschungen in diesem Bereich sind uneingeschränkt zu unterstützen.

Wenn so ein Projekt dann aufgelegt wird, beispielsweise Speisung von Batterien aus der Oberleitung -die Konzepte hierzu liegen schon seit Jahren in den Schubladen- dann muss das von vornherein auch eine überzeugende Lösung sein. Deshalb muss man da sehr genau schauen, dass man praxisgerechte Lösungen an den Markt bringt.

Erstmal muss man aber Erfahrungen sammeln und was auf dem Papier konstruktionsbereit steht muss auch zunächst in Prototypen umgesetzt werden. Die Debatte um Elektromobilität beschränkt sich auf den Autoverkehr, nicht auf die Schiene.

Aus meiner Sicht ist die Zeit reif, auch innovative Konzepte für die Schiene zu entwickeln. Ich stimme Herrn Leister da vollkommen zu. Wir sind auch dabei, gemeinsam mit der Industrie daran zu arbeiten. Unsere Fachleute sind an diesem Thema dran und ich gehe davon aus, dass Prototypen in absehbarer Zeit auf der Schiene stehen werden.

Halten Sie, gerade im Hinblick auf Elektromobilität, die von DB Energie angekündigte Änderung der Bahnstrombezugsbedingungen für ein gutes Zeichen? Und zwar sowohl im Hinblick auf die Rabattregelungen, die ja von vielerlei Seite als diskriminierend bezeichnet worden sind, als auch im Hinblick auf die Rückspeisevergütung.

Wir sind an diesem Thema seit mehr als zehn Jahren dran. Der VDV hat sich bereits im Jahr 2000 gegen jegliche Rabatte im Infrastrukturpreissystem der DB AG ausgesprochen. Bei den Trassenpreisen ist mittlerweile etwas passiert. Kurz nachdem der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn sein Amt angetreten hat, hat er entschieden, bei Trassenpreisen auf Mengenrabatte zu verzichten. Das war ein großer Schritt nach vorne, den es leider im Energiepreisbereich so nicht gegeben hat. Ich war damals mit Wettbewerbsbahnen mehrfach bei DB Energie. Interessanterweise führte ich Gespräche mit dem damaligen Chef der DB Energie, Herrn Meyer, der als Chef der SBB auch der Bahnstrombezieher ist . Wir sind immer im Gespräch mit DB Energie geblieben und freuen uns, dass man dort von den Rabatten jetzt abgerückt ist.

Die Rabatte sind ein Punkt, ein anderer Punkt ist die Rückspeisevergütung. Da sagten sowohl Mofair als auch der Netzwerk Europäischer Eisenbahnen, die relativ geringe Rückspeisevergütung wirke wie eine „umgekehrte Abwrackprämie“ und mache es für Eisenbahnverkehrsunternehmen, insbesondere für die DB AG, attraktiv, veraltete Triebfahrzeuge aus den Beständen der Deutschen Bundesbahn weiter zu nutzen. Es wird zwar demnächst nicht nur der Nettobezug berechnet, aber die Rückspeisevergütung wird deutlich erhöht. Wie bewerten Sie das?

Die Rückspeisevergütung muss Anreize zur Energieeinsparung setzen und gleichzeitig sowohl für die Bezieher als auch für DB Energie wirtschaftlich vertretbar sein. Ob sie das derzeit oder nach dem neuen Konzept ist, lässt sich im Moment nicht bewerten. Der VDV hat hier kurz nach der Jahrtausendwende Überlegungen angestellt, doch diese sind heute schlichtweg nicht mehr aktuell. Deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich mich an dieser Stelle nicht zu weit aus dem Fenster lehnen möchte.

Auf Seiten der Verkehrsunternehmen, die Sie ja vertreten, sieht es positiv aus. Die kriegen ab 2013 für jede zurückgespeiste Kilowattstunde mehr Geld als im Moment. Sehen Sie das als sinnvollen ökonomischen Anreizeffekt, unabhängig von der Kalkulation bei DB Energie? Reden wir vielleicht von DB Schenker Rail, die ja heute noch mit Lokomotiven aus den 50er Jahren rumfahren.

Ich kann mir gut vorstellen, dass das darüber auch innerhalb des DB-Konzernes intensiv diskutiert wurde. Aber die konkrete Höhe muss ja für beide Seiten auskömmlich sein. Im Moment ist das im VDV allerdings kein Thema.

VRR-Vorstandssprecher Martin Husmann sagte, damals im Zusammenhang mit der gescheiterten Linie RE 6a, es sei ein handwerklicher Fehler der Bahnreform, dass der DB AG das Rollmaterial aus den Beständen der Deutschen Bundesbahn geschenkt worden ist. Die DB AG erhielt die Anlagewerte in Form von Rollmaterial und das Bundeseisenbahnvermögen hat die Kredite, die die Bundesbahn dafür aufgenommen hat, weiter bedient. In Großbritannien hat man die Fahrzeuge direkt an eine Leasinggesellschaft verkauft. Sehen Sie das ähnlich oder bewerten Sie diesen Sachverhalt anders?

Als damaliger Mitarbeiter des Bundesverkehrsministeriums fand ich den britischen Weg seinerzeit vorzugswürdig, weil er von vornherein jeglichen Geschmack einer Bevorzugung eines Unternehmens vermieden hat. Ich hätte es damals für besser gehalten, ROSCOs (Rolling Stock Operating Companies) zu gründen, wie sie in Großbritannien heißen. Es hat auch innerhalb des VDV zu erheblichen Diskussionen geführt, dass die von der früheren ´Behördenbahn´ angeschafften Fahrzeuge nach ihrer Außerdienststellung für den Wettbewerb nicht zur Verfügung standen.

Ich bin deshalb sehr froh darüber, dass die DB AG, anders als früher, heute bereit ist, Fahrzeuge an Wettbewerbsbahnen zu verkaufen. So sind jüngst beispielsweise zahlreiche Elektrolokomotiven der Baureihe 140 an Dritte verkauft worden. Ähnliches gilt auch für den Werkstattbereich. Hier gab es nach der Bahnreform seitens der DB AG eine starke Zurückhaltung, mit Dritten geschäfte zu machen. Heute macht die DB AG Werbung bei den Privatbahnen. Heinrich Brüggemann hat ja bei Ihnen im Eisenbahnjournal Zughalt.de im Hinblick des geplanten RRX-Fahrzeugparks darauf hingewiesen, dass man für Wartungs- und Reinigungsarbeiten ausdrücklich auch dann zur Verfügung steht, wenn man die Züge nicht selbst fährt.

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer tritt für eine Trennung von Netz und Betrieb ein und im Rahmen des VRR-Fahrzeugfinanzierungsmodelles und der angedachten Werkstattförderung sagte man dort, man halte Werkstätten für Infrastruktur und diese sei daher generell nicht durch die Verkehrs- sondern durch die Infrastrukturbetreiber zur Verfügung zu stellen.

Auch da hat sich mittlerweile eine Wandlung ergeben. Die Wettbewerbsbahnen haben in vielen Fällen speziell auf die vergebenen Lose zugeschnittene Werkstätten. Wenn Sie über eine so spezifisch zugeschnittene Werkstatt verfügen und die wird im Zugang reguliert, dann haben Sie weit mehr Probleme mit einer Öffnung für jegliche Dritte als wenn Sie ein historisch gewachsenes ehemaliges Ausbesserungswerk haben. Die DB AG hat daher mit ihren Werkstätten eher weniger Probleme als Newcomer mit der Drittnutzung und nimmt ja in vielen Fällen auch Drittkunden an.

Die Forderung, Benutzungsbedingungen und Preisverzeichnisse für jedermann aufzustellen, hat bei den Werkstattbetreibern große Sorgen verursacht, zumal zunächst der Umfang dieser Vorgaben nicht klar genug geregelt war. Sie mussten befürchten, ihre Betriebspläne nicht mehr planmäßig durchführen zu können, denn solche Werkstätten sind betrieblich und ökonomisch so zugeschnitten, dass die gerade spezifisch auf die konkreten Umlaufpläne zugeschnitten sind. Wenn dann jemand anders kommt und da im Zweifel mit Brechstange und Bundesnetzagentur den Zugang erzwingen will, dann kann es passieren, dass das zu einem mangelnden Klarstand beim Rollmaterial eines Wettbewerbsunternehmen führt und dazu, dass diese Pönale zahlen müssen. Man könnte hierin auch als ein Einfallstor für Aktionen gegen Wettbewerbsbahnen sehen.

Deshalb sind die intramodalen Wettbewerber der DB AG im VDV bislang auch der Auffassung gewesen, dass man an dieser Stelle am Ziel vorbeischießen könnte. Im Entwurf für das neue Eisenbahnregulierungsgesetz steht daher zurecht, dass die Betriebsprogramme des Werkstattbesitzer Vorrang vor externen Nutzern haben. Bei weiterführenden Zugangsrechten widersprechen sich wissenschaftliche Ästhetik und unternehmerische Realität, gerade bei mittelständischen Unternehmen.

Abellio-Chef Ronald Lünser sagt, wenn er sich eine Werkstatt aufbauen muss, dann habe er die voll in der Bilanz stehen und da spiele dann alles eine Rolle, was wir aus der Diskussion um Rollmaterial auch kennen: Das Restwerkrisiko, die Frage was nach dem Ende des Verkehrsvertrages passiert und und und. Das sei bei aufgabenträgereigenen Werkstätten eben nicht mehr der Fall.

Es ist die Frage, inwieweit man Aufgabenträger in eine Rolle bringt, in der man staatliche Interessen mit kommerziellen Interessen vermengt. Unternehmen können Werkstätten ökonomisch besser betreiben als hoheitliche Verkehrsbesteller.

Der VRR plant aber nicht, Werkstätten zu betreiben, sondern er will die mit den Liegenschaften und Immobilien einhergehenden Risiken abfedern: Der VRR kauft ein Gelände, baut eine Halle, schafft vielleicht auch Werkstattmaschinen an und vermietet die dann an die Fahrzeughersteller, Verkehrsbetreiber oder wen auch immer.

Wenn so etwas von der Politik entschieden würde, wären die Vorteile, die wir mit der Eisenbahnreform in Deutschland im unternehmerischen Bereich haben, teilweise vergeigt. Ich kann sagen, dass eine Mehrheitsmeinung sowohl bei den Güter- als auch bei den Personeneisenbahnen besteht, dass man aus der Organisation und dem Betrieb von Werkstätten unternehmerisch agieren und deshalb die öffentliche Hand heraushalten möchte. Das bezieht sich ausdrücklich auch auf die Finanzierung. Ebenso gilt dies für einen weiteren Aspekt: die Fahrzeuge. Es ist viel wichtiger, dass die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass die Unternehmen, auch kleinere und mittlere Unternehmen, sich ihr Geld von der Bank oder anderweitig vom Kapitalmarkt beschaffen können als dass der Staat an dieser Stelle alles direkt finanziert. Die aktuelle europäische Schuldenkrise zeigt ja auch, dass wir uns bei staatlichem Engagement auf die Bereiche konzentrieren müssen, in denen dies wirklich gerechtfertigt ist.

Das bedeutet, Sie sehen die aktuellen Entwicklungen im VRR durchaus kritisch?

Ja.

Könnte man Ihrer Ansicht nach Restwertrisiken durch Wiedereinsatzgarantien lösen?

Das ist eine sehr viel bessere Möglichkeit.

Aber der VRR plant ja im Moment noch zweigleisig und erwägt auch, eine private Besitzgesellschaft mit ins Boot zu holen. Dort könnten sich die Hersteller selbst aber auch kapitalgebende Banken oder ähnliche Organisationen beteiligen.

Das halte ich nicht nur für einen gangbaren Weg, sondern auch einen eindeutig besseren. Und das Modell ist ja so neu gar nicht. Zahlreiche Wettbewerbsbahnen in Deutschland sind gar nicht Eigentümer ihrer Fahrzeuge, sondern mieten diese von Leasinggesellschaften.

Es gibt durchaus mehrere Wege, um bei der Fahrzeugfinanzierung glücklich zu werden. Wir haben zum diesem Thema eine eigene VDV-Arbeitsgruppe gebildet, die ihre Arbeit dieser Tage aufnimmt und auch mit Banken und Financiérs spricht. Da gibt es nicht nur eine Möglichkeit. Es besteht immer die Gefahr, bei direktem Tätigwerden des Aufgabenträgers, dass bei der Beschaffung bestimmte Landeskinderwünsche erfüllt werden. Leider haben Länder z.T. aus wirtschaftspolitischen Gründen Einfluss darauf genommen, welche Fahrzeuge zu beschaffen sind.

Sie erinnern sich sicherlich, wieso wir in den 70er Jahren x-Wagen gekriegt haben. Es gab damals schon auf dem Papier einen ET 422, der nichts mit dem von heute zu tun hatte, sondern das waren im Prinzip Olympiatriebzüge vom Typ ET 420, die durchgängig gewesen wären und über Toiletten verfügt hätten. Und die damalige nordrhein-westfälische Landesregierung hat aber gefordert, die Züge für die S-Bahn Rhein-Ruhr in Krefeld zu bauen. So kamen die x-Wagen mit den Lokomotiven der Baureihe 111.

Ich erinnere mich, denn ich habe dazu mit 17 Jahren selbst eine Pressemeldung gebracht. Es war 1977 , als ich die Vorstellungen der damaligen Landesregierung, die in einem Landtagsprotokoll festgehalten waren, an mit Kommentar einer Fachzeitschrift gesteckt habe. Damals fand ich es fast unglaublich, dass das Land Nordrhein-Westfalen so eine, ich bitte um Entschuldigung, bescheuerte Lösung gewählt hat, einen Lokzug mit 111 für die S-Bahn. Jeder wusste, dass das keine gute Idee war, wohl aber einem u.a. in NRW produzierenden Unternehmen nutzte. Das ist eine Beispiel für eine Vergewaltigungen der Bahnbranche durch sachfremde politische Entscheidungen.

Lesen Sie den zweiten Teil des Interviews. VDV-Eisenbahngeschäftsführer Martin Henke spricht über den schlechten Modal Split und die Stellung der Eisenbahn im Wettbewerb der Verkehrsträger.

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