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Ein Gespenst verschwindet: „Vergabewelle“ als Drohkulisse und Realität

04.06.12 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Im letzten Jahr ließ die Pressestelle im Bahntower über die Springer-Zeitung DIE WELT großes Unheil verkünden: Durch die sogenannte „Vergabewelle“ würde der SPNV-Markt in völlig unbekannte Probleme gestürzt, auch die Deutsche Bahn könne das nicht mehr alles bewältigen, massenweise Strecken müssten stillgelegt werden, weil sich bei Ausschreibungen keine Bieter mehr finden und es gäbe nur einen Königsweg: Der Eisenbahn eine vergaberechtliche Extrawurst braten, um große Verkehrsverträge direkt zu vergeben – vorzugsweise natürlich an DB Regio.

Damit sollten primär Politiker verunsichert werden, die zwar keinen Sachverstand, dafür aber um so mehr Angst um die SPNV-Anbindung ihres Wahlkreises haben. Jeder, der sich mit der Rechtslage auch nur rudimentär auskennt, der weiß, dass es trotz Abellio-Urteil Notvergaben, Auferlegungen, Leistungsausweitungen und eine Menge mehr gibt – all das sieht das deutsche Recht bereits vor. Gegen den Willen eines Aufgabenträgers den Eisenbahnverkehr einzustellen ist nicht nur ein konstruiertes, sondern auch ein völlig absurdes Szenario.

In der letzten Woche hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger (BAG SPNV) mit Zahlen und Fakten dargelegt, dass die Befürchtungen allesamt nicht eingetreten sind. Die Vergabewelle flacht bereits wieder ab und es musste keine Strecke geschlossen werden, weil niemand mehr Lust hatte, dort zu fahren. Ein Großteil der Vergaben der rund 73,3 Millionen jährlichen Zugkilometer ab Dezember 2014 sind bereits abgeschlossen, während Verfahren für die etwa 69 Millionen jährlichen Zugkilometer ab Dezember 2015 gerade laufen.

In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts geht das Vergabevolumen noch deutlicher nach unten, von einer Vergabewelle für die Zukunft kann keine Rede mehr sein. Sie war bereits beendet, als Deutsche Bahn und VDV sie noch als Drohgespenst für die Zukunft an die Wand gemalt haben. Modelle wie der Eurobahn-Sprinter oder die vorübergehende freihändige Vergabe des Netzes Regionalschnellbahn Ostbayern zeigen, dass eine überbordenden Bürokratie nicht vorhanden ist. Statt dessen ist jedoch immer dann eine ergebnisoffene Marktevaluierung obligatorisch, wenn das deutsche Vergaberecht eine solche vorsieht.

Öffentliche Aufträge mit einem Volumen von mehreren hundert Millionen oder gar Milliarden Euro sind nun einmal nicht in Hinterzimmern nach Amigo-Tradition zu vergeben. Hier hat es auch bei Verhandlungsverfahren öffentliche Ankündigungen zu geben, inklusive der Möglichkeit für Dritte, sich dort einzuschalten. Und auch dann muss der wirtschaftlichste Anbieter einen einklagbaren Rechtsanspruch haben. Alles andere wäre ebenso ordnungspolitisch wie auch ökonomisch falsch und nicht vertretbar.

Im Februar kündigte VRR-Chef Martin Husmann auf einer Pressekonferenz an, dass man die laufenden Vergaben mit unterschiedlichen Laufzeiten terminiert: Mal zwölf Jahre, mal 15 Jahre, mal etwas länger und mal etwas kürzer, um die nächste Vergabewelle gar nicht erst aufkommen zu lassen. Verantwortungsbewusstes Handeln ist im Interesse der Nachfolger der heutigen Entscheidungsträger notwendig – und allemal besser als eine Rechtsgrundlage für fragwürdige Deals zu schaffen.

Nur eins muss allen Beteiligten klar sein: Die Zeiten, dass sich auf die Ausschreibung einzelner Bimmelbahnen zehn und mehr Bewerber finden sind vorbei und werden auch nicht mehr wiederkommen. Der Markt konsolidiert sich, Unternehmen überlegen sich, wo sie bieten. Darauf müssen sich die Aufgabenträger einstellen. Und wer sich Fahrzeugfinanzierungsmodelle, Wiedereinsatzgarantien und Werkstattförderungen ansieht, der stellt fest, dass Ausschreibungen allen Unkenrufen zum Trotz auch heute große Erfolge sein können – wenn man fairem Wettbewerb eine Chance gibt. Wer das nicht tut, der zahlt auch weiterhin die entsprechenden Preise.

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