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Vor der NRW-Wahl: Verkehrsminister Harry Voigtsberger zur Schienenpolitik

08.05.12 (Nordrhein-Westfalen) Autor:Stefan Hennigfeld

Harry Voigtsberger (61) ist seit knapp zwei Jahren Wirtschafts- und Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen. In seine Amtszeit fielen die Einführung des neuen RE-Konzeptes, die monatelange Sperrung der Müngstener Brücke und das Abellio-Urteil. Er gehört der SPD an. Wenige Tage vor den Landtagswahlen bezieht er im Eisenbahnjournal Zughalt.de Stellung

Herr Minister Voigtsberger, Sie sind seit knapp zwei Jahren Verkehrsminister. Was unterscheidet Ihre Schienenpolitik von der Ihrer schwarz-gelben Vorgängerregierung?

Die Förderungen des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) und der Investitionen in die Projekte des Nahverkehrs werden von uns fortgeführt und ausgebaut. Zudem ist während meiner Regierungszeit die seit 2004 eingestellte Finanzierung der Eisenbahninfrastruktur der nichtbundeseigenen Eisenbahnen (NE), auf denen der Güterverkehr rollt, im vergangenen Jahr wieder neu belebt worden. Zwar bemühen wir uns nach wie vor, den Bund hier auf seine Verantwortung hinzuweisen und ihn zu bewegen, die in der Koalitionsvereinbarung des Bundes festgeschriebene NE-Infrastrukturförderung wahrzunehmen, jedoch bisher leider ohne Erfolg. Beim Ausbau und der Erhaltung dieser Strecken für den Güterverkehr müssen die Eisenbahnen finanziell gefördert werden. Schließlich erhält die DB AG für Ersatzinvestitionen in das Schienennetz der Eisenbahnen des Bundes jährlich 2,5 Mrd. EUR aus dem Bundeshaushalt. Hier muss auch der Güterverkehr auf der NE-Eisenbahninfrastruktur zukünftig mehr Unterstützung erfahren und darf nicht auf das Abstellgleis geschoben werden.

Wie stehen Sie zum Rhein-Ruhr-Express?

Nordrhein-Westfalen benötigt auf der wichtigen Strecke zwischen Dortmund und Köln dringend eine verbesserte Schieneninfrastruktur. Nur so können die gegenwärtigen und zukünftigen Fahrgastströme bewältigt werden. Dies ist am Besten mit dem geplanten Rhein-Ruhr-Express zu erreichen, immerhin das bedeutendste Schienenpersonenverkehrsprojekt in Nordrhein-Westfalen. Dafür müssen einzelne Eisenbahnknoten deutlich ausgebaut und die technische Effizienz verbessert werden. Auch der Bau von einzelnen Ausweich- und Überholungsstrecken ist von entscheidender Bedeutung. Schließlich wollen wir mehr Menschen von der Straße auf die Schiene bringen – dabei spielt der RRX für mich eine entscheidende Rolle: Immerhin könnten so nach unseren Schätzungen täglich 31.000 Personenfahrten vom Auto in den Öffentlichen Nahverkehr verlagert werden.

Die Planungsmittel für den RRX sind gesichert, erste Planfeststellungsverfahren sind bereits eingeleitet worden. Nach sehr schwierigen Verhandlungen ist es mir gelungen, dass Bundesverkehrsminister Ramsauer Mittel für den RRX im aktuellen Investitionsrahmenplan in Höhe von fast 185 Mio. Euro eingeplant hat. Die Bahn muss nun schnellstmöglich die Verhandlungen über eine Finanzierungsvereinbarung mit dem Bund aufnehmen, damit diese Gelder auch wirklich nach Nordrhein-Westfalen fließen.

Sollte auch das Land NRW finanzielle Verantwortung für den zusätzlichen Betrieb auf der Schiene übernehmen?

Selbstverständlich sichert das Land die notwendige Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs. Wir wollen noch in diesem Jahr den Finanzierungsrahmen des SPNV-Betriebs bis 2015 um 137 Mio. € anheben. Damit wird zum einen das bereits im letzten Fahrplanjahr in Betrieb gegangenen RE-Konzept abgesichert, auf der anderen Seite wollen wir damit vor allem das Angebot im ländlichen Raum und dem Ballungsrand ausbauen.

Für den RRX-Vorlaufbetrieb ab Ende 2016, also die schrittweise Heranführung an einen neuen Fahrplan, planen wir weitere 15 Mio. € pro Jahr ein, um die dringend notwendigen Verbesserungen im Ballungsgebiet am Rhein und Ruhr endlich voran zu bringen.

Das Land geht damit an die Grenze dessen, was mit den vom Bund zur Verfügung gestellten Regionalisierungsmitteln machbar ist. Um die steigenden Kosten in den Griff zu bekommen muss der Bund allerdings mehr in die Pflicht genommen werden und mehr finanzielle Mittel bereitstellen. Bei der Novellierung des Regionalisierungsgesetzes ist eine Anhebung der jährlichen Dynamisierung dieser Mittel von 1,5 % auf die tatsächliche Kostensteigerung von 2,5 % zwingend erforderlich. Das Land kann und wird den Bund nicht aus seiner Verpflichtung aus Artikel 106a Grundgesetz entlassen können: Die Finanzierung eines ausreichenden Angebotes im öffentlichen Nahverkehr in den Ländern ist und bleibt eine Bundesaufgabe.

Und schließlich hat sich diese Landesregierung dazu bekannt, aus der Landeskasse 160 Mio. € jährlich für die Finanzierung verbilligter Fahrkarten im Ausbildungsverkehr und für Sozialtickets bereitzustellen. Ein solches finanzielles Engagement werden Sie nicht in allen Ländern finden.

Wie stehen Sie zum Wettbewerb im Schienenpersonennahverkehr?

Ich bin grundsätzlich für Wettbewerb – natürlich auch auf der Schiene. Aber Wettbewerb ist kein Allheilmittel. Er ist gut, wenn dadurch die Qualität für die Fahrgäste verbessert wird und die Kostensteigerungen für die öffentlichen Kassen begrenzt werden können. Beides gelingt im SPNV jedoch nur, wenn die Konkurrenten der Deutschen Bahn auch tatsächlich qualifizierte Angebote abgeben. Die letzten Ausschreibungen haben aber leider gezeigt, dass mangels Bewerbern kaum noch ein Wettbewerb zustande kommt. Zurzeit laufen intensive Abstimmungen mit SPNV-Aufgabenträgern (VRR, NVR, NWL), um bei der anstehenden Ausschreibung des RRX-Vorlaufbetriebes mehr Wettbewerb zu schaffen. Eine Möglichkeit bestünde darin, die Ausschreibung der Fahrzeuge sowie der Betreiber zu trennen und diese verbindlich zu machen. Das bedeutet, die Linien müssen keinesfalls von ein und demselben Eisenbahnverkehrsunternehmen betrieben werden; wichtig ist, dass dies mit den gleichen Fahrzeugen des Rhein-Ruhr-Express geschieht. So haben wir eine echte Chance den Wettbewerb in unserem Land voranzubringen.

Unterstützen Sie die Forderung des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) nach einem neuen Recht auf Direktvergabe?

Eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2007 erlaubt die Direktvergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen, sofern nationales Recht dem nicht entgegensteht. Diese besonders für den Verkehrssektor bestehende europarechtliche Möglichkeit sollte gewahrt werden. Angesichts der komplizierten Rechtsprechung besteht bei den Auftraggebern und auch bei den Unternehmen eine gewisse Rechtsunsicherheit, so dass das deutsche Recht hierzu dringend eine Klarstellung benötigt. Dies ist keine Absage an den Wettbewerb, sondern beruht auf der Erkenntnis, dass es bestimmte Voraussetzungen gibt, die mittels einer Ausschreibung von Verkehrsverträgen schlichtweg nicht zu lösen sind – etwa, weil bestehende Verkehrsverträge angeglichen oder Übergangslösungen geschaffen werden müssen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat daher schon vor über einem Jahr eine Initiative gestartet, um die Möglichkeit zur Direktvergabe im Allgemeinen Eisenbahngesetz bundesgesetzlich zu verankern.

Landesrechtlich haben wir im Übrigen schon für Rechtssicherheit gesorgt und im Gesetz über den öffentlichen Nahverkehr eine ausdrückliche Regelung zur Direktvergabemöglichkeit aufgenommen.

Streben Sie im kommunalen ÖPNV Wettbewerbslösungen an oder soll es bei der Dominanz kommunaler Eigenbetriebe bleiben?

Die Finanzierungsverantwortung für den straßengebundenen ÖPNV liegt bei den kommunalen Aufgabenträgern. Deshalb sollte auch bei ihnen die konkrete Entscheidung für die Vergabeart liegen. Sie entscheiden damit, ob wettbewerbliche Verfahren oder Direktvergaben für gemeinwirtschaftliche Verkehre stattfinden sollen. Wenn Sie sich für Direktvergaben entscheiden, brauchen Sie dafür allerdings Rechtssicherheit – für die Unternehmen und für ihre vielen Subunternehmen. Die Landesregierung setzt sich daher auch bei der Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes für eine positive Regelung der Direktvergabemöglichkeit ein. Eine Direktvergabe ist übrigens nicht nur an eigene Unternehmen möglich, sondern auch für Verkehrsleistungen in einem überschaubaren Umfang an kleinere und mittlere Unternehmen. Wenn ein Unternehmen in der Lage ist, die Verkehrsleistungen in der erforderlichen Qualität und Quantität eigenwirtschaftlich zu erbringen, ist dies sogar zu bevorzugen.

Die BAG SPNV und zahlreiche Aufgabenträger warnen vor explodierenden Trassenpreiskosten. Wie sehen Sie diese Situation?

Die Entwicklung bei den Kosten für die Infrastruktur bereitet mir große Sorgen. Die Verantwortung für das Schienennetz der bundeseigenen Eisenbahnen – auch für die Nahverkehrsstrecken – liegt nach dem Grundgesetz beim Bund. Während die Kosten alleine für den Unterhalt dieses Netzes kontinuierlich steigen, hat der Bund seine Finanzierung seit vielen Jahren bei rund 2,5 Mrd. € pro Jahr gedeckelt. Wie das ausgeht, kann man sich leicht vorstellen. Zum einen muss die DB beim Unterhalt des Netzes sparen – die Folgen konnten wir im vorletzten Winter deutlich erfahren – und zum anderen muss die Bahn die steigenden Kosten auf die Preise aufschlagen.

Nach einer Prognose von PricewaterhouseCoopers für mein Haus werden diese Kosten weiterhin jährlich um rund 2,5% steigen. Wie sollen die Länder dies auffangen, wenn die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel nur 1,5% beträgt und die Ausschreibungsgewinne dahin schmelzen, wie Butter in der Sonne? Und dann will der Bund von der DB auch noch im Netz erwirtschaftete Gewinne zum Haushaltsausgleich heranziehen! Die großartigen Ankündigungen von Herrn Minister Ramsauer, diese Gewinne in die Bahninfrastruktur zurückzuführen, sind doch nichts anderes als ein billiger Taschenspielertrick. Solange eine Bundesregierung ohne verkehrs- und finanzpolitisches Konzept in Berlin die Weichen stellt, wird die ganze Bahnreform bald vor den Prellbock gefahren.

Die Branche leidet an massivem Lokführermangel, daraus resultiert eine hohe Zahl an Zugausfällen. Wie wollen Sie dieses Problem lösen?

Was die Qualifizierung und Ausbildung von Triebfahrzeugführern betrifft, zeigen sich die Personalengpässe, die zurzeit überall in der Wirtschaft bei der Anwerbung von hochqualifizierten Fachkräften zu beobachten sind. In diesem Zusammenhang hat sich die rot-grüne Landesregierung dafür stark gemacht, dass im Gegensatz zur bisher gültigen Eisenbahn- Bau- und Betriebsordnung Triebfahrzeugführer seit gut einem Jahr bereits ab dem 20. Lebensjahr diesen Beruf ausüben können.

Unabhängig davon ist es Sache der Tarifpartner für genügend Nachwuchs bei den Lokführern zu sorgen: Sie schaffen dies nur, wenn sie die Attraktivität der Arbeitsplätze erhöhen und dies auch tarifvertraglich vereinbaren. Dabei entspricht es einer guten deutschen Tradition, dass sich die Regierungen nicht in die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie der Tarifpartner einmischen. Daran werde auch ich mich halten. Ich gehe davon aus, dass trotz der zweifellos hohen Anforderungen an die Triebfahrzeugführer im SPNV, im Personenfernverkehr und im Schienengüterverkehr auch künftig qualifizierter Nachwuchs gefunden werden kann, wenn die Arbeitsbedingungen und die Vergütungen attraktiv sind.

Die Fragen wurden schriftlich gestellt und beantwortet. Interview: Stefan Hennigfeld

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