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Gefährden die Grünen den Wettbewerbsprozess im SPNV in Baden-Württemberg?

08.04.12 (Baden-Württemberg) Autor:Niklas Luerßen

Laut Koalitionsvertrag der grün-roten Regierung „werden [wir] das Angebot des Schienen-Personen-Nahverkehrs spürbar verbessern. Dazu nutzen wir die mit einer konsequenten Strategie wettbewerblicher Verfahren verbundene Effizienzrendite“. Doch mittlerweile läuft die Zeit davon, denn fast ein Jahr nach der Vereidigung der jetzigen Landesregierung „wurden seit letztem März keine Leistungen ausgeschrieben“, man arbeite aber intensiv daran, so ein Sprecher des Verkehrsministeriums.

Im Klartext bedeutet die Aussage des Koalitionsvertrages, dass man sich erheblich billigere Angebote pro Zugkilometer durch das Wettbewerbsverfahren ausmalt und damit Verbindungen verdichtet und mit modernerem Wagenmaterial versehen werden könnten. Aber zum großen Fahrplanwechsel am 11.12.2016 läuft der derzeitige sogenannte Große Verkehrsvertrag mit einem Leistungsvolumen von rund 40 Millionen Zugkm aus, der im Jahr 2003 zwischen der damaligen CDU/FDP-Koalitionsregierung mit der DB Regio für eine Laufzeit von 13 Jahren geschlossen wurde. Die europaweite Ausschreibung dauert ungefähr ein Jahr, mit mindestens einem weiteren halben Jahr kann man zwecks Auswertung und Vergabe der Angebote rechnen. Zuzüglich eventueller Einspruchsverfahren unterlegener Mitbewerber kann der obsiegende Anbieter dann die Züge bestellen.

Allerdings ist Baden-Württemberg nicht das einzige Bundesland, das in den nächsten Jahren Vergaben neuer Verkehrsverträge durchführen möchte; die meisten Wettbewerbsverfahren machen neue Züge zur Vergabebedingung. Durch den höheren Nachfragedruck bei den Waggon- oder Triebfahrzeugbaufirmen führt dies zu höheren Preisen. Eine große Firma hat beim Verkehrsministerium bereits vorgesprochen und diesbezüglich auf wahrscheinliche Lieferprobleme aufmerksam gemacht. Außerdem wird es für DB-Konkurrenten erheblich schwieriger, je kurzfristiger der Termin ist, denn es muss Kapital für die Refinanzierung von neuen Zügen beschafft werden. Dies wäre für den heute eh schon eingeschränkten Wettbewerb nicht sehr förderlich, denn die Zahl der Ausschreibungsteilnehmer liegt derzeit durchschnittlich laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) nur noch bei zwei Anbietern.

Sollte der neue Vertrag oder die neuen Verträge, abhängig von der Zuschneidung der Wettbewerbsnetze der künftigen Ausschreibung, nicht rechtzeitig stehen, wäre einerseits die sogenannte Freihändige Vergabe denkbar. Bei dieser Variante hätte man aber eine kürzere Laufzeit, denn laut dem Abellio–Urteil vom 8. Februar 2011 ist ein nochmaliger langjähriger direkt vergebener Verkehrsvertrag nicht mehr statthaft. Damit lohnen sich für die DB auch keine Investitionen in neuere Fahrzeuge und es ist nicht mit einem wesentlich geringeren Preis pro km zu rechnen, denn warum soll DB Regio hier dem Land ohne Not entgegenkommen? Ein lange geforderter täglicher Stundentakt auf der Frankenbahn Stuttgart – Würzburg wäre also ebenso in weitere Ferne gerückt, wie ein regelmäßiges RB-Taktangebot wenigstens nach Osterburken oder der Ersatz der modernisierten Silberlinge (n-Wagen) auf selbiger Strecke sowie auf Stuttgart – Nürnberg.

Andererseits gäbe es noch die Auferlegung, bei der man quasi die DB zwangsverpflichtet zu fahren. Hierbei müssen dann dessen Aufwendungen angemessen ersetzt werden, dieser Akt ist auf zwei Jahre beschränkt und es muss „Unvorhersehbarkeit“ vorliegen, also z.B. der bisherige Anbieter ist von gestern auf heute insolvent gegangen und kann die Verkehrsleistungen aus heiterem Himmel nicht mehr anbieten, oder auf ein Wettbewerbsverfahren hat sich trotz aller Bemühungen kein Verkehrsunternehmen gemeldet, das Land will aber unbedingt Verkehrsbetrieb auf diesem Netz sehen. Bei einem Verkehrsvertrag jedenfalls, der 2003 mit einer Laufzeit von 13 Jahren geschlossen wurde, ist Unvorhersehbarkeit schwer zu erklären.

Der Verband Region Stuttgart (VRS) hatte indes das S-Bahn-Netz Stuttgart bereits einmal ausgeschrieben. Da die DB Regio in dessen Wettbewerbsverfahren letztendlich einziger übriggebliebener Bieter gewesen ist, betreibt sie nun mit einem neuen Vertrag mit 83 neuen Zügen knapp zehn Millionen Zugkilometer im Jahr bei sinkenden Kosten dieses Netz, bewertet der Verbandsdirektor für Wirtschaft und Infrastruktur, Jürgen Wurmthaler, dessen Bilanz.

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verweist auf die „miserable Vertragslage“ mit DB Regio. Dem widerspricht der Chef der DB Regio Baden-Württemberg, Andreas Moschinski-Wald. So habe er bereits frühzeitig auf den steigenden Termindruck hingewiesen. Sein Angebot, einzelne Strecken früher, andere später auszuschreiben, wurde bisher abgelehnt. Da DB Regio aber nur bei langfristigen und belastbaren Verkehrsverträgen in neue Züge investieren könne, wäre dieses sogenannte Abgestufte Modell eine Möglichkeit dazu gewesen. Wald: „Unsere Hand bleibt ausgestreckt“.

Hans-Martin Haller von der SPD bemängelt Hermanns Zögern, da „der nicht von seiner Anti-S21-Haltung runterkommt“. Und die verkehrspolitische Sprecherin der CDU, Nicole Razavi, setzte noch einen drauf: „Hermann fährt das gegen die Wand“.

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