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Fahrzeugpark-Modelle für den Rhein-Ruhr-Express: Aktueller Stand

27.04.12 (Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) Autor:Stefan Hennigfeld

Gemeinsam mit dem Land und den anderen Aufgabenträgern in NRW plant der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) Modelle für einen einheitlichen Fahrzeugpark im Rahmen des Rhein-Ruhr-Expresses. Für die jetzt zur Ausschreibung stehenden Linienpakete RE 1 / RE 11 und RE 5 / RE 6 sollen identische Fahrzeuge angeschafft werden, um den im RRX-System angedachten 15-Minuten- Takt flexibler umsetzen zu können. Da sich die anstehenden Ausschreibungen aufgrund der langfristigen Vertragslaufzeiten mit den Planungen des Landes NRW für den RRX überschneiden, werden gemeinsame Überlegungen angestellt, Betriebsleitungen und Fahrzeugbeschaffung getrennt auszuschreiben. Die Gespräche zwischen Aufgabenträgern, der Fahrzeugindustrie, der Politik und den Eisenbahnverkehrsunternehmen stehen derzeit noch am Anfang. Zwei verschiedene Modelle sind dabei möglich.

„Wir wollen und dürfen die Linien RE 1, RE 5, RE 6 und RE 11 nicht gemeinsam ausschreiben, weil das deutsche Vergaberecht Mittelstandsförderung vorsieht. Diese vier Linien haben ein Auftragsvolumen von insgesamt elf Millionen Zugkilometern. Allein für die erforderlichen 60 bis 65 Fahrzeuge werden dabei Investitionen in Höhe von rund sechshundert Millionen Euro fällig. Das Land NRW und wir möchten für den RRX einheitliche Züge einplanen und daher überlegen wir, die Ausschreibung der Fahrzeuge von der Ausschreibung der Betriebsleistungen vollständig zu entkoppeln. Dazu wird zum einen die Betriebsausschreibung in zwei Pakete unterteilt: RE 1 und RE 11 sowie RE 5 und RE 6. Zum anderen möchten wir gerne die Fahrzeugherstellung und -wartung bis hin zur Reinigung in einem Lebenszyklus-Modell ausschreiben“ erläutert VRR-Vorstandssprecher Martin Husmann. „Durch diese Trennung erreichen wir als ´Nebeneffekt´ klare und einfache Schnittstellen zwischen allen Beteiligten: Die Hersteller gewährleisten die Verfügbarkeit und den Zustand der Fahrzeuge, der Betreiber steht für die Qualität der Fahrleistung gerade. Beide lassen sich durch das Qualitätsmanagement des Aufgabenträgers nach dem Vorbild unseres bewährten QUMA-Systems kontrollieren. Über die Anwendung dieses Systems sind sich bereits alle Aufgabenträger einig.“

Um eine solche Fahrzeug-Ausschreibung sollen sich die Fahrzeughersteller bewerben, die dann nach Bau der Züge auch die Wartung und Reinigung im Betrieb übernehmen. Zu diesem Zweck wird der VRR anfangen auch Werkstätten zu fördern. Die erstmalige Anwendung von Werkstättenförderung findet bei der Ausschreibung des Niederrhein-Netzes statt (RB 33 und RB 35). Bei dieser Ausschreibung wird kein Fahrzeugpark aufgebaut, sondern es kommt das von der Linie RB 47 bekannte Finanzierungsmodell zum Einsatz. Die Wartung erfolgt jedoch in einer vom VRR geförderten Werkstatt. „Wir wollen uns warmlaufen, denn auch wir müssen hier Erfahrungswerte sammeln. Das Niederrhein-Netz ist ein kleines Elektronetz, das sich als Vorlauf für den RRX-Werkstattbereich hervorragend eignet“ sagt Martin Husmann.

Für das RRX-System werden Optionen überlegt, Fahrzeuge einige Jahre später nachzubestellen, wenn Leistungsausweitungen stattfinden – etwa für die komplett neue Linie RRX 4 oder Verlängerungen der bestehenden Linien. Husmann: „Wir wollen mit der Fahrzeugindustrie entsprechende Vereinbarungen treffen. Dabei streben wir doppelstöckige Triebzüge in elektrischer Traktion an, um dem enormen und stark steigenden Fahrgastaufkommen im Verbundraum und in den angrenzenden Räumen gerecht zu werden.“

Bei den jetzt neu angedachten Modellen handelt sich nicht um eine Fahrzeuganschaffung nach dem niedersächsischen Prinzip, sondern um eine Abwandlung des bisherigen VRR-Finanzierungsmodells. In diesem bereits bei der Linie RB 47 angewandten Modell definiert und bestellt der Betreiber die Züge selbst, tritt der Industrie gegenüber als Auftraggeber auf und verkauft die Züge dann an der VRR, der sie dann an den Betreiber vermietet. Das wesentliche Element, dass das Rollmaterial über die gesamte Lebensdauer im Einsatz bleibt und möglicherweise der Mieter wechselt, bleibt dabei erhalten.

Die beiden neu diskutierten Modelle unterscheiden sich insbesondere dadurch, dass einmal der Hersteller direkt an den VRR die Fahrzeuge verkauft und für deren Lebenszyklus die Aufgabe übernimmt die Fahrzeuge zu warten, instand zu halten und zu reinigen. Zweite Variante ist eine Besitzgesellschaft. Diese kauft die Fahrzeuge vom Hersteller. Aber auch dann bleibt es beim oben beschrieben Grundmodell des Lebenszyklus´, der eine nachhaltige Fahrzeugqualität sichert. Die Wartung und Reinigung wird der Hersteller machen und dazu die geförderten Werkstätten nutzen – oder als Unterauftragnehmer die Betreiber mit diesen Leistungen beauftragen.

Wem die Fahrzeuge perspektivisch gehören würden, wird Inhalt der Gespräche in den kommenden Wochen und Monaten sein. Vielleicht die Aufgabenträger gemessen am Anteil ihrer Zugkilometer, vielleicht aber auch der federführende Aufgabenträger alleine und andere Aufgabenträger werden dann als eine Art ´Untermieter´ mit dazu geholt. Durch die Linie RE 5 ist auch das Land Rheinland-Pfalz betroffen, der dortige Aufgabenträger SPNV Nord, der für den Linienast zwischen Remagen und Koblenz zuständig ist, wird sich an den Gesprächen beteiligen.

Den Modelltyp „Besitzgesellschaft“ hat die Firma KCW für die S-Bahn Berlin bereits ausgearbeitet. „Diese Ausarbeitungen werden wir genau prüfen“ erklärt Martin Husmann. „Es wird dabei um die Frage gehen, in welchem Umfang Fahrzeugindustrie oder Kreditgeber bereit sind, sich an solchen Gesellschaften zu beteiligen. Das hat auch mit der Frage zu tun, ab welchem Anteil solche Einlagen bilanziert und durch Eigenkapital abgesichert werden müssen. Auch hier stehen wir erst am Anfang der Gespräche, gehen aber davon aus, in einem überschaubaren Zeitraum Ergebnisse liefern zu können.“

Ein großes Problem sind dabei die Risiken, die mit der Fahrzeuganschaffung einhergehen, man erinnere sich nur einmal an das Zulassungsdesaster der E-Talent 2. Husmann: „Wir streben ein Modell an, das uns im Falle einer Insolvenz der Besitzgesellschaft einen sicheren Zugriff auf die Züge ermöglicht. Damit wollen wir verhindern, dass die Fahrzeuge in einer potentiellen Insolvenzmasse verwertet werden. Derzeit prüft unsere Rechtsabteilung entsprechende Modelle. Aber der Fall einer Insolvenz ist fester Bestandteil unserer Planungen – auch wenn wir nicht davon ausgehen. Wir werden alle Risiken bewerten und den Fall des Falles vorbereiten.“

Viel problematischer wäre es, wenn die Züge bei der Insolvenz eines Herstellers ohne Zulassung auf dem Abstellgleis stünden. Die Züge wären dann wertlos – aber einige Raten schon bezahlt. Was würde dann passieren? Husmann: „Sowohl bei unserem jetzigen Fahrzeugfinanzierungsmodell als auch für den Fall, dass wir die Züge selbst bestellen, werden wir keine Aufträge vergeben ohne dass die Auftragnehmer Vertragserfüllungsbürgschaften vorlegen. Sollte es Zulassungsprobleme geben, die den Hersteller in die Insolvenz treiben, werden wir uns mit der dann fälligen Bürgschaft an die entsprechende Bank wenden. Dadurch werden Ausfallrisiken für den Steuerzahler, sei es für das Land oder für unsere Kreise und kreisfreien Städte, verhindert.“

Durch die Trennung von Fahrzeugbeschaffung und -wartung vom Betrieb würde das Eisenbahnverkehrsunternehmen künftig die Carrier-Aufgaben erfüllen. „Im Weiteren ist der Betreiber bzw. der jeweilige Betriebsleiter für den reibungslosen Ablauf zuständig. Ebenso obliegt es dem Betreiberunternehmen für Sicherheit und Service zu sorgen. Eventuell kommen künftig auch noch teilweise Vertriebsaufgaben hinzu“ so Husmann. Künftig wäre es durchaus möglich, dass beispielsweise Abellio Züge fährt, die der Hersteller bei Keolis warten lässt.

Das klingt auf den ersten Blick nach einem Wirrwarr an Zuständigkeiten. „Das Gegenteil ist richtig“ sagt Martin Husmann. „Wir haben nur noch zwei saubere Schnittstellen: Mit dem Betreiber der Zugleistungen und dem Hersteller. Dadurch minimieren wir die Risiken für das EVU. Die Bahnreform ist an dieser Stelle nicht zu Ende gedacht. Aufgrund der Kapitalstruktur im Markt kann nur die DB AG aufgrund ihres Zustandes als integrierter Konzern hier solche Risiken eingehen. Denn die DB AG kann im Zweifel unkontrollierte Gewinnabflüsse aus dem Netz als Ausgleich in die Betriebssparten fließen lassen. Kein Verkehrspolitiker kann die Geldströme innerhalb dieses Konzerns noch nachvollziehen.“

Gerade deshalb ist man auf marktgerechte Preise angewiesen. Husmann: „Sehen Sie sich einmal unsere Situation an. Derzeit geht etwa die Hälfte des Budgets an die Infrastrukturbetreiber, bis 2020 werden es bei gleicher Entwicklung achtzig Prozent sein. Das ist eine existenzielle Gefahr für den SPNV und zwingt uns, an anderer Stelle ganz besonders wirtschaftlich zu handeln. Wir sind überzeugt, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern NWL und NVR, aber auch mit Rheinland-Pfalz, hier eine seriöse, ordnungspolitisch richtige und ökonomisch nachhaltige Lösung anstreben.“

Aber auch hinter anderen Wettbewerbsbahnen stehen mittlerweile große Staatseisenbahnen. „Für die Deutsche Bahn AG zahlt notfalls der deutsche Staat, aber der niederländische Staat zahlt für Abellio ebenso wenig wie der französische Staat für Keolis. Wenn wir uns jetzt einmal ansehen, welche immensen Investitionskosten im RRX-Bereich auf die Unternehmen zukommen, dann würde das zu einer Verschuldungsquote führen, die das Rating jedes Bahnbetreibers, der nicht DB AG heißt, kaputt haut. Um dieses strukturelle Wettbewerbsdefizit zu vermeiden, gehen wir neue Wege“ sagt Martin Husmann. „Dem Geiste der Bahnreform folgend finanzieren wir als staatliche Institution Fahrzeuge, die private Unternehmen dann betreiben.“

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