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S-Bahn Berlin steht vor der Ausschreibung

18.11.11 (Berlin) Autor:Stefan Hennigfeld

Am letzten Wochenende wurde bekannt, dass eintritt, was Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zumindest vor den Senatswahlen stets verhindern wollte: Die S-Bahn Berlin wird ausgeschrieben. Der im Dezember 2017 endende Verkehrsvertrag mit der Deutschen Bahn wird zumindest nicht mehr in Form einer Direktvergabe verlängert. Nach dem Abellio-Urteil hätte der Berliner Senat ansonsten auch mit einer hochnotpeinlichen Niederlage vor Gericht rechnen müssen.

Für Hans Leister, Geschäftsführer des Privatbahnanbieters Keolis, kommt diese Entscheidung daher auch wenig überraschend: „Der Senat hätte überhaupt nur zwei Möglichkeiten gehabt: Entweder ein Wettbewerbsverfahren mit Betriebsstart im Dezember 2017 oder eine Direktvergabe an ein noch zu gründendes landeseigenes Eisenbahnverkehrsunternehmen. Mit der zweiten Variante wäre die Inhouse-Vergabe zum Tragen gekommen, wie sie in der Europäischen Verordnung 1370-2007 vorgesehen ist. Da die CDU die Kommunalisierung der S-Bahn wohl abgelehnt hat, war die nun anstehende Wettbewerbsüberführung die logische Folge.“

Zunächst soll jedoch der Betrieb auf dem Ring und einigen Zulaufstrecken in die Ausschreibung gehen. Ob für den übrigen Betrieb ein Wettbewerbsüberführungsvertrag vorgesehen ist, ist derzeit noch nicht bekannt. Bereits seit längerer Zeit gibt es jedoch Stimmen, die eine solche Lösung favorisieren, weil es die Fahrzeugreserve des bisherigen Betreibers erhöhen würde.

Auch bei der Essener Privatbahn Abellio freut man sich über die Ausschreibung. Geschäftsführer Bernard Kemper: „Dadurch ergeben sich interessante Möglichkeiten für den Wettbewerb, die gerade für private Unternehmen attraktive Anhaltspunkte darstellen können. Grundsätzlich liegt diese Ausschreibung und der dringend überfällige Neubeginn bei der S-Bahn in der Bundeshauptstadt auch in unserem Fokus.“

Scharfe Kritik kommt jedoch von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Der für die S-Bahn Berlin zuständige Gewerkschaftssekretär Jörg Kronberg befürchtet, die S-Bahn würde „zerschlagen, gestückelt und gefleddert.“ Demnächst würden zwei Prinzipien gelten: „Billig, billig und Aussaugen, was das Zeug hält.“ Der EVG-Bevollmächtigte für Berlin, Klaus Just, kündigte ebenfalls „scharfen Gegenwind“ an. „Wir werden alle Notbremsen ziehen, auch die des Volksbegehrens.“

Bei der konkurrierenden Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ist man da anderer Meinung. Frank Nachtigall, Bezirksvorsitzender für Berlin, Brandenburg und Sachsen: „Wir sind grundsätzlich für Wettbewerb, solange er nicht auf dem Rücken der Beschäftigten über die Lohnkosten und die Arbeitsbedingungen geführt wird. Wenn eine neuerliche Direktvergabe an die Deutsche Bahn juristische Folgen hätte und letztlich Gerichte entscheiden müssten, wäre damit niemandem geholfen. Allerdings sollte das Land Berlin auch nicht unter dem Motto ausschreiben ´Alle außer die DB´, dann würde der Wettbewerbsgedanke konterkariert werden.“

Kritisch sieht man allerdings die Vergabe in Losen. Nachtigall: „Senat und VBB sollten gewährleisten, dass die gesamte S-Bahn durch ein- und dasselbe Eisenbahnverkehrsunternehmen betrieben wird – welches auch immer das sein wird. Hier käme prinzipiell auch ein landeseigener Betreiber in Frage, allerdings gab es mit der BVG in der Vergangenheit auch wiederholt Probleme.“

Der Gewerkschafter befürchtet, dass ein Betrieb durch mehrere Anbieter unwirtschaftlich werden könnte. „Bei allen Schwierigkeiten hat die ´S-Bahn aus einem Guss´ bislang immer zur Problemlösung beigetragen. Das wäre für private Anbieter ein hohes Investitionsvolumen, welches sich nur durch lange Vertragslaufzeiten auffangen lässt und wenn der oder die neuen Betreiber die Erwartungen nicht erfüllen, steht der Senat wieder vor dem gleichen Problem. Am Ende des Tages finanziert ohnehin der Senat das Rollmaterial – ob direkt oder indirekt.“

Die Ausschreibungsbedingungen sind auch für Abellio-Chef Bernard Kemper ein entscheidender Punkt. „Hier ist ganz klar das Land Berlin gefordert. Auch wenn noch keine Einzelheiten bekannt sind, ist die Vermutung naheliegend, dass etwa das Fahrzeugkonzept sowohl vom Volumen als auch vom Beschaffungszeitraum her eine besondere Herausforderung sein wird. Deshalb müssen die Modalitäten so ausgeführt werden, dass private Anbieter eine ernsthafte Chance haben, diese Ausschreibung für sich zu entscheiden.“

Hans Leister pflichtet seinem Essener Kollegen bei: „Die Triebzüge der Berliner S-Bahn können aufgrund der hohen Spezifikation nur dort und nirgendwo anders eingesetzt werden. Deshalb müssen Investitionen langfristig abgesichert werden – nicht nur bei uns Wettbewerbern, sondern auch bei der Deutschen Bahn.“ Schließlich müssen Fahrzeuge angeschafft, Werkstätten eingerichtet und Personal eingestellt werden.

Leister: „Jede Privatbahn würde versuchen, so viele Mitarbeiter wie möglich von der S-Bahn zu übernehmen. Doch die Konkurrenz ist groß: Auch die Deutsche Bahn wird im Falle eines Teilverlustes versuchen, einen Großteil ihres Teams zu behalten. Der Facharbeitermangel macht uns hier allen zu schaffen und erschwert die Personalsuche – ein Problem, das sich in den kommenden Jahren noch verschärfen wird. Gerade deshalb ist es für mich sehr überraschend, dass die EVG für den Erhalt des aus Sicht der Fahrgäste katastrophalen Status Quo kämpft und die Deutsche Bahn als einzig legitimen S-Bahnbetreiber sieht. Warum das so ist, kann ich nicht nachvollziehen. Das System würde ja gerade dadurch stabiler, dass Fehler eines Betreibers nicht sofort das Gesamtsystem an den Rand des Zusammenbruchs bringen können. Drei S-Bahn-Betreiber können bei richtiger Organisation zusammen ein zuverlässigeres System bilden als ein volkseigener Einheitsbetrieb.“

Bild: Deutsche Bahn AG

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