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Stuttgart 21-Gegner erinnerten an den „Schwarzen Donnerstag“

01.10.11 (Stuttgart) Autor:Niklas Luerßen

Am gestrigen Freitag kamen in Stuttgart auf einer Kundgebung auf dem Schlossplatz anlässlich des Jahrestages des sogenannten Schwarzen Donnerstags nach Veranstalterangaben knapp 20.000 Teilnehmer zusammen. Nach Polizeiangaben waren es etwa 5000 Teilnehmer. Anschließend gab es eine Demonstration zum Schlossgarten. In der Nacht gab es zusätzlich um 23 Uhr einen Schweigemarsch vom Schlossgarten zum Finanzministerium, wo etwa 3000 Leute teilnahmen.

Bei der Kundgebung forderte Dr. Brigitte Dahlbender, BUND-Landesvorsitzende und Sprecherin des Aktionsbündnisses, die Zuhörer auf, den Mut nicht zu verlieren und sich für den Ausstieg bei der Volksabstimmung einzusetzen: „Wir sagen Ja zum Ausstieg!“. Außerdem fand sie klare Worte zum damaligen Tag: „Das war eine Machtdemonstration. Man wollte mit dem effektvollen und endgültigen Eingreifen den Widerstand zum Erliegen bringen. Es war bewundernswert, dass der Widerstand gegen Stuttgart21 sich davon nicht hat beeindrucken lassen“. Verschiedene Redner kritisierten die bisherige juristische Nichtaufarbeitung des Polizeieinsatzes am 30.09.2010 im Schlossgarten und bis heute fehlende Entschuldigung damals regierender Politiker oder Polizeiverantwortlicher. Gangolf Stocker, damaliger Sprecher des Aktionsbündnisses, kritisierte den Einsatz von Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken als nicht durch die Polizeivorschriften gedeckt. Er warf Polizei und Justiz „alte Seilschaften“ vor. Er und viele weitere Redner kritisierten die vielen Ermittlungen gegen etliche Demonstranten, die dadurch eingeschüchtert werden sollen, währenddessen Ermittlungen gegen Verantwortliche oder Polizisten des 30.09. wegen „gründlicher Sichtungsnotwendigkeit von Beweismitteln“ auf die lange Bank geschoben würden.

Der ehemalige Strafrichter Dieter Reicherter, der teilweise Augenzeuge der Geschehnisse des 30.09.2010 ist, drückte erneut seine Empörung über den damaligen sogenannten Untersuchungsausschuss aus. Dieser hatte keine Konsequenzen für die damaligen Verantwortlichen; es werde in Stuttgart keine Ruhe geben, bis dieser Tag objektiv aufgearbeitet worden ist. Reicherter hatte am vergangenen Donnerstag ein Bürgertribunal mitorganisiert. Daraus entstanden Forderungen, die an die grün-rote Landesregierung übergeben werden sollen. Darunter unter anderem eine Einsetzung einer unabhängigen Ermittlerkommission, eine Feststellung der Unrechtmäßigkeit des damaligen Einsatzes, eine Entschädigung der Opfer, eine Belangung der politisch Verantwortlichen sowie eine Polizistenkennzeichnungspflicht.

Hinsichtlich der nun beschlossenen Volksabstimmung sprachen viele Redner den Teilnehmern Mut zu. Das sogenannte Quorum wird als der größte Problemfall angesehen, da mindestens ein Drittel der Wahlberechtigten für das Ausstiegsgesetz stimmen müsste. Theaterregisseur Volker Lösch: „Wir haben immer auf nahezu verlorenem Posten gekämpft“. Die Bewegung sei oft tot gesagt worden, habe aber bislang jede Hürde genommen. „Wir haben die Herausforderung immer angenommen“. Hier erinnerte er an die Schlichtung von Stuttgart 21 (S 21) und die gewonnenen Landtagswahl, bei dem die Grünen größte Kraft in der neuen Landesregierungskoalition wurden.

Der Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) hob kurz vor der Veranstaltung nochmal die Mitverantwortung der damaligen Demonstranten an den Ereignissen des Schwarzen Donnerstags hervor, denn sie hätten Anweisungen der Beamten nicht Folge geleistet, was Untersuchungen ergeben hätten. Außerdem warnte die Staatsanwaltschaft Stuttgart vor dem Tragen von Buttons, die einen Polizeibeamten zeigen würden, der am damaligen Polizeieinsatz beteiligt gewesen, aber nicht unkenntlich gemacht worden sei. Das Tragen oder Verteilen derselben führe zur Strafbarkeit wegen des Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz und man müsse mit einem Ermittlungsverfahren diesbezüglich rechnen.

Nach der Kundgebung zogen die Teilnehmer und zusätzliche Demonstranten über die Planie, der Konrad-Adenauer-Straße und Schillerstraße zum Schlossgarten, wo die Auseinandersetzungen am 30.09. vor einem Jahr ihren Anfang genommen haben. Dort zeigten Fotografen der Initiative Gegenlicht 21 Bilder, wo nicht nur der Schwarze Donnerstag dokumentiert, sondern auch die Veränderung des Parks seitdem dokumentiert wurden. Auch dies rief die Erinnerungen an den 30. September 2010 wach.

Während der Kundgebungen auf dem Schlossplatz und nachher dem Schlossgarten blieb es nach Polizeiangaben friedlich. Laut Polizeisprecher Stefan Keilbach war es „eine gelöste und friedliche Stimmung“. Dahlbender sagte danach gegenüber dem SWR, dass der heutige Tag wichtig gewesen wäre, um zu zeigen, dass sich die Menschen mitnichten zurückgezogen, sondern „den friedlichen Protest kontinuierlich fortgeführt hätten“. Auch der zweite Sprecher des Aktionsbündnisses, Hannes Rockenbauch (SÖS), unterstrich, dass der Widerstand nicht eingeschlafen wäre, sondern man im Gegenteil nach wie vor zuversichtlich wäre, das Projekt S 21 verhindern zu können.

Gegen 23 Uhr zogen etwa 3000 Teilnehmer schwarz gekleidet, mit blass geschminkten Gesichtern und Kerzen in der Hand in einem sogenannten Schweigemarsch vom Schlossgarten über die Schillerstraße, Friedrichstraße und der Bolzstraße zum Finanzministerium, das für den Schlossgarten zuständig ist. Dort legten sie, mit sogenannten „Pflastersteinen“ beschwert, Zettel mit ihren Wünschen, Erwartungen und Eindrücken vom Schwarzen Donnerstag vor den Treppen des Eingangs nieder. Mit „Pflastersteine“, auch „Pflastanien“, werden in der S21-Gegnerbewegung Kastanien bezeichnet, weil der damalige Innenminister Heribert Rech (CDU) behauptet hatte, die Demonstranten hätten Pflastersteine geworfen, was er bereits wenige Stunden später – durch den Eindruck von selbstgedrehten Amateurvideos, die im Internet veröffentlicht wurden – zurücknehmen musste.

Auf der Kundgebung auf dem Schlossplatz am Nachmittag wurden auch Grüße nach Berlin geschickt, wo ebenfalls dem Jahrestag gedacht wurde. Mit über Wochen fleißig gesammelten Kastanien („Schwäbischen Pflastersteinen“) wurden auf dem Potsdamer Platz vor der DB-Zentrale die Schriftzüge „30.9.2010“, „Oben bleiben!“ und „Baustopp jetzt!“ gelegt. Aktive des Berliner Schwabenstreichs verlasen Twittermeldungen vom 30.09.2010 und riefen damit erneut den massiven Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten ins Gedächtnis. Annette Groth (MdB, Die Linke) unterstütze diese Aktion und hob in einer Ansprache erneut die wichtigsten Argumente gegen das unsinnige Großprojekt S 21 hervor und erinnerte dabei auch ebenfalls an den unverhältnismäßigen Polizeieinsatz in Stuttgart. Zahlreiche Passanten verfolgten diese Aktion interessiert.

Ein Hinweis in eigener Sache: Der Berliner Schwabenstreich ist nach wie vor aktiv und freut sich jederzeit über Unterstützer. Er trifft sich immer Mittwochs ab 18:45 Uhr vor der DB-Zentrale am Potsdamer Platz.

Update: Eine Fotostrecke des Tages aus Stuttgart von der Kundgebung bis zum Schweigemarsch befindet sich hier.

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