Rhein-Ruhr-Express: Warum die derzeitige Diskussion das Thema verfehlt
04.10.11 (Nordrhein-Westfalen, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld
Auch an diesem Wochenende wollte die Diskussion um eine mögliche Projektabsage des Rhein-Ruhr-Express nicht stillstehen. Fordern nicht alle Beteiligten immer, dass zumindest „wir in Nordrhein-Westfalen“ gemeinsam an einem Strang ziehen sollen? Das „Zerreden“ sei die größte Gefahr für das Projekt, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, die Herrschaften an Rhein und Ruhr seien sich selbst nicht einig.
Ein Bericht, wie er jüngst im Kölner Stadtanzeiger erschienen ist, ist da gar nicht hilfreich. Zumal die ganze Diskussion an den eigentlichen Problemen vorbeigeht. Wenn von den sechs Milliarden Euro, die der Bund in den kommenden Jahren für die Schiene zur Verfügung stellt, nur rund sechzig Millionen Euro nach Nordrhein-Westfalen gehen, dann ist das ein nicht hinnehmbarer Missstand.
Die Ankündigung des Verkehrsstaatssekretärs Horst Becker (Grüne), man werde den Rhein-Ruhr-Express „massiv einfordern“ wird Früchte tragen: Es gibt objektiv an Rhein und Ruhr Baumaßnahmen für die Schiene, die eine hohe Priorität haben und deshalb über den Bund finanziert werden müssen. Dieses Problem wird man aber auch lösen können. Engpassbeseitigungen, etwa zwischen Duisburg und Köln, oder auch ein zweites Gleis von Dortmund nach Münster sind so wichtig, dass kein Bundesverkehrsminister sich ernsthaft wird verweigern können.
Doch dass Infrastrukturinvestitionen nicht alles sind, sollte man gerade im VRR wissen; in dieser Sache ist man bereits gebranntes Kind. Schon zur Jahrtausendwende lagen die Investitionsmittel für die Verlängerung der S 4 über Dortmund-Lütgendortmund hinaus nach Wanne-Eickel bereit, man hätte sie nur abrufen müssen. Der VRR tat es nicht, denn auch die damalige rot-grüne Landesregierung war nicht bereit, mehr Geld aus dem Haushalt für Leistungsausweitungen bereitzustellen. Der Betrieb hätte nicht bezahlt werden können.
Mit der Regierungsübernahme durch schwarz-gelb 2005 wurden alle Zielvereinbarungen gekippt und einer Neubewertung unterzogen. Die Landesverkehrsplanung schrieb teilweise hanebüchene Gutachten, mit denen Schienenausbauprojekte systematisch kaputt gerechnet worden sind. Die Verlängerung der S 4 wurde als „nicht förderfähig“ eingestuft. Der VRR steht heute ganz ohne was da, die S 4 fährt noch immer nicht nach Wanne-Eickel und wird es voraussichtlich auf Jahrzehnte auch nicht tun.
Diese Problemstellung wird sich auch beim Rhein-Ruhr-Express wiederholen. Zwar wird Horst Becker nicht müde, überall und allerorten über die vermeintlich schienenfeindliche Vorgängerregierung zu lamentieren, jedoch kommen aus der jetzigen Regierung im großen und ganzen auch nur Forderungen: An den Bund, an die Verkehrsunternehmen, an die Deutsche Bahn, an die Presse, die – so könnte man manchmal glauben, wenn man einige Leute reden hört – aus lauter bösen Menschen besteht, die ihre persönliche Freude daran hätten, den RRX zu kippen.
Dabei sind es gerade die Tageszeitungen und Lokalsender, die das Problem der Betriebsfinanzierung nahezu vollständig ignorieren. Denn wenn die Infrastrukturinvestitionen einmal getätigt sind, wird man für den Rhein-Ruhr-Express Geld brauchen, um den im Vergleich zu heute viel umfänglicheren Betrieb zu bestellen.
Die rot-grüne Landesregierung fordert, dass der Bund die Regionalisierungsgelder mit 2,5 % p.a. statt bislang 1,5 % p.a. dynamisieren soll. Bei einer Neuberechnung soll Nordrhein-Westfalen außerdem besser wegkommen als bislang. Sie lehnt es aber kategorisch ab, sich selbst an diesen Betriebskosten zu beteiligen. „Alle ziehen an einem Strang“ heißt es, doch dann haben die Herren Becker und Voigtsberger offensichtlich eine sehr eigenartige Vorstellung davon.
In anderen Ländern ist der SPNV auch deshalb besser, weil die dortigen Landesregierungen den Etat aus Eigenmitteln aufstocken. Dazu war seit der Bahnreform weder rot-grün noch schwarz-gelb bereit. Jetzt gibt es die Argumentationsweise, dass beispielsweise Bayern finanziell viel besser dastehe als Nordrhein-Westfalen, dass man es sich einfach leisten könne – anders als hierzulande.
Doch auch das ist bei näherem Betrachten nichts weiter als eine Worthülse, die sich in Wohlgefallen auflöst. Die Koch-Steinbrück-Kürzungen für den SPNV wurden mit den Mehreinnahmen durch die Mehrwertsteuererhöhung seit 2007 zugunsten der Länder überkompensiert. Das bedeutet im Klartext: Die Länder erhalten heute vom Bund mehr Geld als vor der Kürzung, es ist allerdings nicht mehr zweckgebunden. Rot-Grün ist nicht bereit, dieses Geld dem SPNV zukommen zu lassen.
Unter diesen Bedingungen wird es aber keinen RRX geben. Den VRR-Verantwortlichen ist das klar, aber sie versuchen, möglichst viele Investitionen mitzunehmen, um den SPNV so attraktiv wie möglich zu machen. Es steht aber zu befürchten, dass ein ewig in einer Vorstufe hängender RRX auf Kosten anderer Bereiche im VRR geht.
So hat es beispielsweise auf den Linien RE 3 (Hamm – Gelsenkirchen – Düsseldorf) und RE 13 (Hamm – Wuppertal – Venlo) im Rahmen des Betreiberwechsels im Dezember 2009 erhebliche Kapazitätssenkungen gegeben. Mit der Neuvergabe der Linien S 5 und S 8 werden die Leistungskürzungen, die sukzessive zwischen 2006 und 2009 durchgeführt worden sind, nicht zurückgenommen. Auch die Situation der Linien RE 16 und RB 40 zwischen Essen und Bochum-Langendreer ist für den Fall einer RRX-Volleinführung völlig ungeklärt.
Vor diesem Hintergrund wird es schwierig, Vertreter aus Städten wie Oberhausen, Gelsenkirchen, Wuppertal, Mönchengladbach oder dem Ennepe-Ruhr-Kreis für den RRX zu begeistern. Sie müssen befürchten, dass sie dieses Projekt mit Leistungsausdünnungen bei sich bezahlen müssen. Erst wenn die Landesregierung selbst uneingeschränkt (und nicht nur durch Ankündigungen und Forderungen) zum Rhein-Ruhr-Express steht, wird er in Nordrhein-Westfalen unumstritten sein. Finanzielle Verantwortung trägt man nicht nur in Berlin, sondern auch in Düsseldorf. Keine Mangelverwaltung auf der Schiene, sondern eine Besserstellung dieses Verkehrsträgers muss her. Doch das kommt von der jetzigen Regierung genauso wenig wie einst unter Rüttgers und Wittke.
Bild: Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen