Stuttgart 21: Deutsche Bahn wusste bereits vor Vertragsabschluss um höhere Kosten
21.09.11 (Stuttgart) Autor:Niklas Luerßen
Die Deutsche Bahn (DB) wusste schon detaillierter vor Vertragsabschluss der Finanzierungsvereinbarung vom 2. April 2009 über höhere Kosten Bescheid. Dies will zumindest das ARD-Politmagazin „Report Mainz“ herausgefunden haben, dem auch vertrauliche und interne Unterlagen von Fachplanern im Auftrag der DB vorliegen. Die projektkritische Gruppe „Juristen zu Stuttgart 21“ hatte daraufhin eine Strafanzeige wegen des Verdachts des besonders schweren Betruges gem. §263 StGB bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Verantwortliche der DB AG gestellt.
Demnach wusste die Bahn bereits vor Unterzeichnung der sogenannten Finanzierungsvereinbarung ganz genau, dass Stuttgart 21 (S 21) teurer werde als veranschlagt. Aus den Unterlagen gehe hervor, dass der Tunnelbahnhof um 185 Millionen Euro teurer werde, der Filtertunnel sogar um 455 Millionen Euro. Unterm Strich kämen Mehrkosten von über einer Milliarde Euro zusammen, von denen in der Finanzierungsvereinbarung keine Rede sei.
Der Baurechtler von der FH Stuttgart und ebenfalls Mitglied bei „Juristen zu Stuttgart 21“, Peter Löffelmann, erklärte hierzu, dass diese Zahlen auf jeden Fall in die Finanzierungsvereinbarung hätten einfließen müssen. Der Vertragsinhalt hinsichtlich des Kostenrahmens, eines wesentlich höheren Kostenrahmens, hätte dann ganz anders ausfallen müssen. Er hält die vorliegenden Dokumente für detailgenau und äußerst exakt. „Wenn so präzise gearbeitet wird bei der Arbeitsbeschreibung der durchzuführenden Leistungen, gehe ich davon aus, dass entsprechend präzise auch die Kosten ermittelt worden sind“, so Löffelmann im Politmagazin-Interview.
Die Bahn hatte auf Anfrage die Zahlen nicht dementiert, gab aber eine Erklärung ab, dass die Unterlagen erst nach der Unterzeichnung dieser Finanzierungsvereinbarung im Sommer 2009 vollständig vorgelegen hätten. Der damalige Schlichter Dr. Heiner Geißler (CDU) will, auch aufgrund der neuen Papiere, jetzt auch die Bahn in die Pflicht nehmen. „Wenn das wahr ist, dann sind die Vertragspartner damals von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Die Bahn ist nun wirklich verpflichtet, eine aktualisierte, neue und realistische, ehrliche Kostenrechnung vorzunehmen, vor allem vor der Volksabstimmung, weil diese Volksabstimmung sonst keine reelle, richtige Grundlage hat“.
Unterdessen gibt es auch bei den Befürwortern untereinander neuen Ärger. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel warf seinem Kollegen von der CDU, Peter Hauk, vor, dass er mit seiner Stilisierung der Volksabstimmung als Abstimmung über die grün-rote Regierung Unterstützer von S 21 abschrecken würde. „Es gibt eine Menge Menschen, die wollen den Erfolg der Regierung und Stuttgart 21.“, und Hauk würde damit den Gegnern in die Hände spielen.
Hintergrund: Am 2. April 2009 schlossen Stadt, Region, Land, Flughafen und Bahn einen Vertrag über die Finanzierung von S 21 ab. Die Kosten wurden mit rund 3 Milliarden Euro veranschlagt, im Dezember 2009 gab Rüdiger Grube – Vorstandsvorsitzender der DB AG – zu, dass das Projekt letztendlich nach Einrechnung von Einsparpotentialen um etwa eine Milliarde Euro teurer werde. Die Grünen glauben indessen, dass die unterstellten Einsparpotentiale von 800 Millionen Euro, wodurch es erst möglich wurde, die vertraglich vereinbarte Obergrenze von 4,526 Milliarden Euro zu unterschreiten (auf bisher offiziell 4,088 Milliarden Euro) nicht realisiert werden können. Im Gegenteil wird vermutet, dass durch übliche Kostenexplosionen und der Nachbesserungen, die durch Schlichtung und Stresstest erforderlich werden, selbst unter diesen Voraussetzungen das Limit nicht mehr eingehalten werden kann.
Seinerzeit gingen nach Grubes „Outing“ im Dezember 2009 bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart Strafanzeigen ein, die jedoch keinen Anlass für Ermittlungen wegen fehlenden „begründeten Verdacht der betrügerischen Täuschung“ gegen die DB sah.