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Bahn trennt sich vom Partner für die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm

26.09.11 (Baden-Württemberg, Fernverkehr, Stuttgart) Autor:Niklas Luerßen

Die Bahn gerät beim Milliardenprojekt Stuttgart 21 (S 21) immer mehr unter Druck. Einerseits musste sie zur letzten Lenkungskreissitzung eine Kostensteigerung um 370 Millionen Euro einräumen, andererseits beendete die Bahn nun die Zusammenarbeit mit dem Projektplaner der Neubaustrecke (NBS) Wendlingen – Ulm, der „Lahmeyer International“.

Mit der Kostenerhöhung kratzt das Projekt finanziell knapp an der vertraglich vereinbarten Obergrenze von 4,526 Mrd. Euro. Die derzeitige Landesregierung hatte schon per Kabinettsbeschluss festgelegt, dass oberhalb dieser Projektgesamtkosten keine höheren Kosten mehr anteilsmäßig vom Land getragen werden. Auch der Bund hatte das vor einigen Wochen beschlossen und indirekt auch die Stadt Stuttgart, denn dann – so Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) – würde ein Bürgerentscheid drohen. Weil die Landesregierung außerdem damit rechne, dass die Kosten unter keinen Umständen mehr gehalten werden können, will sie zudem ein Kündigungsgesetz auf dem Weg bringen und im Falle des Scheiterns die wahlberechtigte Bevölkerung von Baden-Württemberg per Volksabstimmung nach §60 Landesverfassung entscheiden lassen. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass weitere Kostenschübe stattfinden könnten, so haben einige finanzielle unkalkulierbare und teure Arbeiten wie die Tunnelarbeiten und die ungeklärte Situation unter dem Messe- und Flughafengelände noch gar nicht begonnen.

Die Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Projektplaner ist ebenfalls nicht sehr förderlich für das Projekt S 21. So ist dieses Projekt nur dann wirklich sinnvoll, wenn gleichzeitig auch die NBS Wendlingen – Ulm gebaut und in Betrieb genommen wird. Der Vertrag mit Lahmeyer, der vorerst bis 2012 galt, wurde „wegen massiver Schlechtleistung“ nun nicht mehr verlängert. Die Bahn verweigere bisher jeden Kommentar. Laut Bahnkreisen soll Lahmeyer International „auf eigenen Wunsch ausgeschieden“ sein.

Lahmeyer International besteht aus einer Ingenieurgruppe und einem Beratungskonzern. Er betreut Großprojekte in den Bereichen Energie, Wasser und Transport. Vor einem Jahr bekam das Unternehmen den Auftrag für Termin-, Kostensteuerung, Vertragsmanagement und Organisation dieser Strecke. Mit zwölf Experten arbeiteten sie vor Ort in Stuttgart und wollten ursprünglich „das Bahnprojekt für den Kunden erfolgreich abschließen“. Auch bei dieser Firma erhielt man bisher keine Stellungnahme zum Verlust dieses Auftrags. „Alle Dinge, die mit Stuttgart 21 zu tun haben, laufen über die Bahn direkt.“

Die NBS ist nicht unumstritten. Der Bau gehe wegen der langen Tunnel, des feuchten porösen Karst der Schwäbischen Alb und durch wassergefüllte Höhlen an „die Grenzen des technischen Machbaren“. Auch die Kosten seien völlig unklar; die Bahn geht derzeit von 3 Mrd. Euro aus, während Bahnexperten mit 6-7 Mrd. Euro rechnen. Auch wirtschaftlich werde sich die Strecke nicht tragen, denn sie führt in über 17km langen Tunneln mit bis zu 35 Promille Steigungen durch die Schwäbische Alb – steiler als viele Trassen im Hochgebirge und damit auch steiler als die Altstrecke, die Filstalbahn, die an der Stelle als Geislinger Steige bekannt ist. Damit können die heute üblichen Güterzüge diese Strecke nicht befahren.

Die Bahn bemüht sich immer noch um viele Planfeststellungsbeschlüsse, denn vier der sieben Planfeststellungsabschnitte sind immer noch nicht genehmigt, so auch der sogenannte Boßlertunnel. Ein am Projekt beteiligter Manager wertet den Abschied von Lahmeyer als „herben Rückschlag“, die Bahn wäre „völlig unzufrieden“ mit der Arbeit der Consulting-Experten gewesen und die Terminpläne seien gefährdet. Es sei nun offen, ob die NBS gleichzeitig mit S 21 in Betrieb gehen könne. Es könne also durchaus sein, dass S 21 in etwa zehn Jahren fertig sei, aber der Fildertunnel bei Wendlingen im Nichts ende, weil immer noch an der NBS gebaut werde. Bahnchef Rüdiger Grube bezeichnete es in der Vergangenheit wiederholt als das sogenannte „am besten geplante Projekt“ überhaupt. Bei den Ingenieuren lägen jedoch die Nerven inzwischen blank, Gerüchte über Ausstiegsszenarien machen die Runde: „Keiner von uns will das Ding mehr.“

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