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Rückbau der oberirdischen Bahnanlagen in Stuttgart bisher nicht genehmigt

31.08.11 (Stuttgart) Autor:Niklas Luerßen

Wie bereits bekannt, hatte die Stadt Stuttgart der Bahn im Dezember 2001 für 459 Millionen Euro die Flächen abgekauft mit der Erwartung, dass diese nach Fertigstellung von Stuttgart 21 von den Gleisen befreit und damit entsprechend vermarktbar werden. Doch nun hat die Bahn ihre eigene Auffassung korrigiert, nämlich dass der vollständige Rückbau und die Freistellung von Bahnbetriebszwecken keinesfalls Gegenstand des Planfeststellungverfahrens im PFA 1.1 gewesen war und deshalb gesondert beantragt werden müsste.

Damit scheint sich die Meinung von Eisenbahnjournal Zughalt vor fast einem Jahr zu bestätigen. Da auch das Eisenbahnbundesamt (EBA) sowie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages die Notwendigkeit eines separaten Verfahrens bestätigen, steht die Stadt nun mit der Meinung alleine da, dass der Planfeststellungsbeschluss eine sogenannte Konzentrationswirkung entfalten und damit Abriss der Gleise und Freistellung der Flächen bereits inbegriffen sein würden.

Es gäbe nun zwei Möglichkeiten: Entweder beantragt die Bahn hierfür ein gesondertes Planfeststellungsverfahren oder sie leitet ordentliche Verfahren nach §11 AEG (Stilllegung) und §23 AEG (Freistellung von Bahnbetriebszwecken, ehemals auch Entwidmung genannt) ein. Gegen die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens möchte die Stuttgarter Netz AG (in Gründung) (SNAG) dann juristisch vorgehen, denn ein Nachteil eines solchen Verfahrens wäre, dass keine bundesweite Bekanntmachung im DB Netz-Verkaufsportal (im Stilllegungsfall) oder im EBA-Bundesanzeiger (im Freistellungsfall) stattfinden und das Verfahren damit nicht öffentlich gemacht würden.

In dem zweistufigen AEG-Verfahren ist ein Stilllegungsverfahren nach §11 AEG vorgeschrieben, wenn die Bahn keinen Bedarf mehr für eine Strecke oder einen Streckenabschnitt sieht oder es ihr nicht mehr wirtschaftlich zuzumuten zu sein scheint, diese Strecke länger betriebsfähig aufrechtzuerhalten. Dazu muss sie vor Vollzug der Stillegung die betroffenen Strecken- und ggf. Bahnhofsteile mindestens drei durchgehende Monate lang zum Verkauf ausschreiben und damit anderen interessierten Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) anbieten. Findet sich hier ein Interessent, sind ihm die Strecken und Bahnsteige zu verkaufen, völlig unabhängig davon, wie viel Verkehrsbedürfnis tatsächlich auf den betroffenen Abschnitten vorherrscht.

Dies könnte jedenfalls zu einem Problem der S21-Akteure werden, denn deren wichtigstes Argument war die Schaffung freiwerdender Innenstadtflächen zur Vermarktung. Hätte die Initiative der SNAG oder eines anderen EIU Erfolg, wovon nach derzeitiger Rechtslage sehr stark auszugehen ist, gäbe es im Endeffekt zwei Bahnhöfe: Den von der Bahn gebauten Tunnelbahnhof im Glauben, der oberirdische Bahnhof werde danach abgerissen und den von dem entsprechenden privaten EIU erhaltenen Kopfbahnhof. Derzeit will die SNAG nach erfolgreicher juristischer Gründung die Zulassung als EIU beantragen und anschließend per positiver Feststellungsklage klären lassen, dass die Bahn verpflichtet ist, im Falle des gewünschten Rückbaus ein Ordentliches Stillegungsverfahren durchlaufen zu lassen. Dies ist notwendig, da frühestens 2020 der Rückbau anstünde, man aber jetzt Rechtssicherheit in diesem Punkt bräuchte. Und theoretisch auch die DB, wenn es sie interessieren sollte.

Aufsichtsratschef Kirfel sagte, dass mit der Feststellung der Bahn, eine Freistellung der Grundstücke beantragen zu müssen, sie wohl endlich langsam wüsste, um was es gehe. Auch die Aussage der Stadt, es würde kein Verkehrsbedürfnis mehr für den Kopfbahnhof geben, ist für ihn nicht stichhaltig, da hierüber nicht die Stadt entscheiden würde, sondern Verkehrsunternehmen, die diese Infrastruktur nutzen würden. Es ist nämlich gesetzlich keine Mindestzugzahl pro Zeitraum festgelegt, die erreicht werden muss, um von einem Verkehrsbedürfnis zu reden. Rein theoretisch würde auch ein Museumszug pro Jahr genügen.

Im Anhörungsverfahren 2003 fiel bereits in der Debatte folgender Satz: „Es wäre theoretisch sogar denkbar, dass sich ein privater Eisenbahnunternehmer findet, der den Kopfbahnhof trotz Stuttgart 21 für eigene Zwecke weiterbetreiben will. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber theoretisch nicht ganz ausgeschlossen.“ Auch der seinerzeitige Vorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) wies darauf hin, dass man erst an einer Stilllegung von Bahnstrecken denken könne, wenn sich kein Dritter zum Weiterbetrieb interessieren würde. Damals wurden diese und weitere Hinweise nicht ernst genommen.

So wie es aussieht, hat die Stadt momentan Eisenbahngrundstücke für 459 Millionen Euro gekauft, die wegen der noch bestehenden eisenbahnrechtlichen Widmung für sie so gut wie wertlos sind. Damit kommen Fragen auf: War die Stadt überhaupt dazu berechtigt, einen Grundstücksvertrag abzuschließen, ohne dass die Erfüllung garantiert war? Kann man es wegen des ungewissen Ausgangs gar als Spekulationsgeschäft betrachten? Zwar ist die Bahn dazu verpflichtet, im Fall einer Nichterfüllung der Stadt den Kaufpreis nebst Verzugszinsen zurückzuzahlen, der Stadt war dadurch jedoch jahrelang kommunales Vermögen gebunden gewesen und war der Bahn de facto ein günstiger Kreditgeber.

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