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VRR: BGH-Urteil in dieser Woche

06.02.11 (VRR) Autor:Stefan Hennigfeld

Noch zwei Tage, dann wird der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das wohl wichtigste Urteil seit der Bahnreform verkünden. Es wird allgemein erwartet, dass die Direktvergabe des VRR an DB Regio NRW rechtswidrig ist. Wahrscheinlich wird es mindestens die Linien S 5 und S 8 betreffen, möglicherweise sogar den gesamten Verkehrsdurchführungsvertrag. Das hat Folgen – nicht nur für den VRR.

Im – für DB und VRR – günstigeren Fall würde lediglich die Vergabe der Linien S 5 und S 8 gekippt werden. Gegen diese Vergabe hat Abellio Rail, eine Tochtergesellschaft der niederländischen Staatseisenbahn, Widerspruch eingelegt. Der Widerspruch gegen die Gesamtvergabe wurde lediglich hilfsweise eingelegt – erst im Laufe des Verfahrens hat sich das geändert. Prozessbeobachter halten einen solchen Ausgang für möglich. Der Rest des Vertrages würde gelten. Er könnte dann möglicherweise noch immer rechtswidrig sein, wäre aber nicht mehr angreifbar.

In diesem Fall würden die Linien S 5 und S 8 so schnell wie möglich ausgeschrieben werden. Die Ausschreibungsmodalitäten müssten geklärt werden. Werden Neufahrzeuge gefordert? Was passiert mit den schon bestellten ET 430, die eigentlich auf den Linien S 6 und S 68 zum Einsatz kommen sollten? Nichtsdestotrotz wären die Probleme dann verhältnismäßig klein.

Viel dramatischer dürfte es werden, wenn die Vergabe, was sehr wahrscheinlich ist, vollständig aufgehoben wird. Juristisch hätte man dann wieder die Situation vor dem Abschluss des Vertrages von 2009. Der Altvertrag von 2003/2004 wäre umstritten. Der VRR hat ihn gekündigt, die DB hat bislang erfolgreich gegen die Kündigung geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Münster müsste sich dann wieder mit der Sache befassen.

In letzter Zeit tauchen vermehrt Berichte auf, wonach irgendwelche „Notfahrpläne“ gefahren würden. Das ist jedoch unrealistisch. Damit würde einhergehen, dass DB Regio NRW die Züge auf Basis einer Auferlegung durch den VRR fahren würde. Dazu müsste das Unternehmen jedoch zunächst einmal die Kündigung des Vertrages von 2003/2004 aus Juni 2008 durch den VRR anerkennen. Das wird jedoch nicht passieren.

Deshalb wird es für Pendler an Rhein und Ruhr kurzfristig gar nichts heißen. Die Züge werden weiterhin fahren. Die Langfristfolgen können unterschiedlich ausfallen. Genaueres kann man derzeit noch nicht absehen. Was auch immer das Urteil für Auswirkungen haben wird, wer auf die Bahn angewiesen ist, wird rechtzeitig informiert werden. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil es ja nicht nur den VRR gibt, sondern auch andere Aufgabenträger, die über gültige Vertrage mit der DB verfügen. Im Falle des RE 5 strahlt das Problem sogar bis nach Rheinland-Pfalz.

Doch was würde das für den VRR bedeuten? Zunächst einmal wären kurzfristig rund zwanzig Millionen Euro fällig, die DB Regio NRW zu kriegen hätte. Dem stünden aber Strafzahlungen für Schlecht- und Nichtleistungen aus dem Zeitraum 2004 bis 2008 gegenüber – in einer ähnlichen Höhe, so dass man hier Forderungen gegeneinander aufrechnen könnte.

Problematisch wird es, wenn es um die Finanzierung des Betriebs in den kommenden Jahren geht. Für den Fall, dass der Vertrag kippt, könnte die Landesregierung die Zusage über eine dreistellige Millionensumme für die nächsten Jahre zurückziehen. Doch auch das ist aus politischer Sicht unwahrscheinlich.

Der VRR sagt unverhohlen, dass man in diesem Fall eine Doppelstrategie fahren werde: Auf der einen Seite wird man sich das benötigte Geld bei den Trägern, also den Kreisen und kreisfreien Städten holen. Diese müssten laut Gesetz für den VRR als Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) in voller Höhe haften. Auf der anderen Seite wird offen von Abbestellungen, Ausdünnungen und Streckenstilllegungen gesprochen. Wohlgemerkt: Nichts davon wird kurzfristig passieren.

Die Haushaltslage der Kreise und kreisfreien Städte im VRR kann im Regelfall wohl ohne schlechtes Gewissen als desolat bezeichnet werden. Viele müssen schon seit Jahrzehnten Nothaushalte aufstellen. Trotzdem müssten sie viel Geld für den SPNV zahlen – zusätzlich zur ohnehin fälligen SPNV-Umlage.

Das würde zudem auch dem Vorhaben der rot-grünen Minderheitsregierung entgegenlaufen, die ja in ihrem Koalitionsvertrag gerade deutliche Finanzhilfen für die Kommunen geplant hat. Höhere Belastungen wären daher kaum zu halten, ganz gleich, welche Farbenlehre sich in der Staatskanzlei aufhält und ob die Ministerpräsidentin Kraft heißt oder nicht.

Es gäbe noch die Möglichkeit von Abbestellungen. Jedoch sind Kürzungen bereits in den letzten Jahren im Rahmen der Senkung der Regionalisierungsgelder ausgereizt worden. Was realistischerweise noch bliebe wäre die Stilllegung einiger Nebenbahnen. Etwa RB 36, RB 43 oder RB 44.

Aber ob man dadurch bis 2023 über hundert Millionen Euro sparen kann ist fraglich, vor allem auch, weil Fahrgeldeinnahmen verloren gingen. Wenn die Landesregierung die zugesagten Gelder auch ohne neuen Vertrag zahlt, hätte man im VRR keinen schlechten finanziellen Stand. Dazu kämen regelmäßige Ausschreibungen, die man von nun an tätigen könnte.

Hier wäre das Problem jedoch, dass die Vertragslaufzeit gerade bei tragenden RE-Linien in vielen Fällen von Besteller zu Besteller schwanken. Bislang konnte man das stets „mal eben“ ausgleichen, z.B. indem ein Aufgabenträger den Vertrag per Direktvergabe verlängert, um dann gemeinsam ausschreiben zu können.

Aber das ist eben das Problem, wenn die Politik auch Jahrzehnte nach der Bahnreform noch immer durch Desinteresse in Erscheinung tritt und keine verbindlichen Regelungen trifft. So entsteht Richterrecht – das Primat der Politik wird freiwillig aufgegeben. Da hilft es auch nicht, während des laufenden Gerichtsverfahrens per Schnellschuss eine Bundesratsinitiative einzubringen, die letztlich doch im Sande verläuft. Der Konflikt muss nachhaltig und politisch, nicht juristisch gelöst werden.

Denn selbst für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass der Vertrag nicht gegen nationales Wettbewerbsrecht verstoßen sollte, würde von einer anderen Seite Ungemacht drohen: Der Privatbahnverband Mofair hat bei der Europäischen Kommission eine Beihilfebeschwerde eingelegt. Der neue Vertrag enthalte eine Überkompensation zugunsten von DB Regio NRW.

Mofair sagt, die durchschnittliche jährliche Eigenkapitalrendite des neuen Verkehrsdurchführungsvertrages für DB Regio würde bei 36 Prozent liegen. Sollte diese Zahl stimmen, wäre das wirklich ein exorbitanter Wert. Möglicherweise würde es noch 2011 hier eine Entscheidung geben. Obwohl also kurzfristig nichts zu befürchten wäre, ist die Kuh noch lange nicht vom Eis.

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