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Netzwerk Privatbahnen fordert Stuttgart 21 zu stoppen

20.10.10 (Allgemein) Autor:Jürgen Eikelberg

Das Netzwerk Privatbahnen, die Vereinigung europäischer Eisenbahngüterverkehrsunternehmen, fordert Bundes- und Landespolitik auf, das umstrittene Großprojekt Stuttgart 21 zu stoppen. Nutznießer seien verhältnismäßig wenige Fernverkehrsfahrgäste, die tatsächlich international reisen, während eine rationale Verkehrspolitik kaum erkennbar sei. Als Hauptnutznießer des gesamten Projektes sieht das Netzwerk die Deutsche Bahn selbst – nicht aber den Verkehrsträger Schiene.

In einer Erklärung fasst das Netzwerk Privatbahnen die Vorteile zusammen, die die Deutsche Bahn AG von Stuttgart 21 hat.

Die Deutsche Bahn AG hat bereits jetzt knapp 460 Mio. € aus Grundstücksverkäufen an die Stadt Stuttgart und weitere 125 Mio. € aus Grundstücksverkäufen an andere Käufer erhalten – insgesamt also bereits 585 Mio. € Erlöse aus Grundstücksveräußerungen. Bei den Neubaumaßnahmen erhält die DB Netz AG außerdem eine Planungskostenpauschale von bis zu 23 %, die deutlich über der sonst für öffentliche Aufträge üblichen Planungskostenpauschale nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) liegt, die auf 10 % der Gesamtkosten gedeckelt ist. Bei den von der Deutschen Bahn AG momentan selbst angenommenen Gesamtkosten in Höhe von 4,1 Mrd. € (ohne die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm) wären das allein stolze 940 Mio. € an Planungskosten, die zu einem guten Teil an die eigene Tochter DB Projektbau fließen. Wird die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm mit einbezogen (geschätzte Baukosten derzeit: 2,8 Mrd. €), steigen die Einnahmen der Deutschen Bahn AG nur aus Planungskosten auf 1,6 Mrd. €. Üblicherweise erfordern gerade die kleineren Bauprojekte verhältnismäßig viel Planungsaufwand. Bei Großprojekten gibt es hingegen das Phänomen der Planungskostendegression: Je teurer eine Maßnahme ist, desto geringer wird im Verhältnis der Anteil der Planungskosten. Bei der Deutschen Bahn AG und insbesondere bei „Stuttgart 21“ ist jedoch das Gegenteil zu erkennen. Hier steigt die Planungskostenpauschale mit zunehmender Projektgröße immer weiter an.

Alexander Kirfel, Geschäftsführer des Netzwerkes Privatbahnen, hat Verständnis für die Sicht der DBAG – wichtiger als das pekuniäre Interesse der Deutschen Bahn sei jedoch ein leistungsfähiger Verkehrsträger Schiene.

Wir fragen uns, warum dies so ist und einige Antworten scheinen auf der Hand zu liegen. Es ist doch selbstverständlich, dass die Bahntochter DB Projektbau ein hohes Eigeninteresse daran hat, am Ende des Tages Geld zu verdienen. Warum sollte die Deutsche Bahn AG darauf verzichten, möglichst viele neue Hochgeschwindigkeitsstrecken und Bahnhöfe zu bauen, an denen sie allein schon mit den Neuplanungskosten einen wesentlichen Beitrag zu ihrem EBIT erwirtschaften kann. Zahlen muss ja der Bund oder andere Dritte. Als Verband der privaten und kommunalen Güterbahnen sind wir immer auf der Seite derer, die die Bahninfastrukturen in Deutschland verbessern wollen. Das ist auch dringend nötig, wenn wir mehr Verkehr auf die Schiene bekommen wollen – egal ob im Güter- oder Personenverkehr. Leider hilft uns „Stuttgart 21“ dabei keinen Schritt weiter, sondern zieht erhebliche Mittel ab, die anderswo wesentlich besser investiert wären. Das Projekt bringt dem Regionalverkehr wenig bis nichts und richtet im Güterverkehr Schaden an.“

Stuttgart 21 und die Neubaustrecke nach Ulm haben keinen Nutzen für den Güterverkehr. Die Geislinger Steige, Teil der Württembergischen Ostbahn, kann heute schon wegen ihres hohen Gefälles von 2,4% von Güterzügen nicht wirksam genutzt werden. Die Züge können nicht vollständig beladen werden und müssen nachgeschoben werden. Die Neubaustrecke soll jedoch 3,5% Steigung haben – für schwere und langlaufende Güterzüge wird sie daher gar nicht befahrbar sein.

Auf der anderen Seite bleibt die europäische Güterverkehrsachse von Rotterdam nach Genua auf deutschem Gebiet zwischen Oberhausen und Emmerich sowie zwischen Offenburg und Basel zweigleisig, während andere Länder mit Projekten wie der Betuwelinie und dem Gotthard-Basistunnel ihre Infrastruktur mit Milliarden von Euro fit machen. Deutschland droht zum Nadelöhr im internationalen Güterverkehr zu werden. Tausende von LKW könnten demnächst die Autobahnen verstopfen, während die Bürger zwischen Bonn und Bingen weiterhin massiven Lärmbelästigungen ausgesetzt sind, weil für Schallschutzmaßnahmen kein Geld da ist.

Das Argument, ein Ausstieg sei unverhältnismäßig teuer und damit unfinanzierbar, bezeichnet Kirfel als „dreiste Irreführung“, „die zumindest die Grenze zur Lüge erreicht“.

In Wahrheit hat die DB Netz AG nach eigenen Aussagen im Vertrauen auf „Stuttgart 21“ schon seit zehn Jahren nichts mehr im Bereich Stuttgart Hauptbahnhof investiert. Wenn der Bau fortgeführt würde, würde er mindestens weitere zehn Jahre dauern. In dieser Zeit muss aber zwingend im Bereich des alten Hauptbahnhofes investiert werden, denn Gleise, Weichen und Elektrik verschleißen.“ Eine Weiche hat eine durchschnittliche Lebensdauer von 25 Jahren. Schienen und Schwellen halten 40 bis 60 Jahre. Wenn die Erhaltungsinvestitionen in den nächsten Jahren, die so oder so in einer Größenordnung von mehreren hundert Mio. € liegen dürften, nicht vorgenommen werden, muss bei immer mehr Gleisen die zulässige Geschwindigkeit weiter und weiter abgesenkt werden.

Kirfel schließt mit der Befürchtung,

dass das vielleicht auch dramaturgisch so angedacht sein könnte. Kurz vor der Eröffnung von „Stuttgart 21“ kriechen dann die ICE- und IC-Züge über völlig marode Gleise und Weichen mit 10 km/h durch das Bahnhofsvorfeld. Die Fahrzeiten haben sich noch einmal um zehn Minuten verlängert. Es herrscht Endzeitstimmung und verheißungsvoll würde der Eröffnungstag von „Stuttgart 21“ herbeigesehnt.“

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