Stuttgart 21: Realisierung bis 2019 wird unwahrscheinlicher
13.09.10 (Allgemein) Autor:Sven Steinke
Sollte das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm mit den Einzelvorhaben Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm nach den Planungen gebaut werden, stehen für andere Schienenneu- und Ausbauprojekte im Rest von Baden-Württemberg und der übrigen Bundesrepublik kaum noch Mittel zur Verfügung. Das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm und die Neubaustrecke Halle/Leipzig – Erfurt – Nürnberg werden zusammen für die nächsten Jahre 70 Prozent der Mittel des Bundesverkehrswege Ausbauplan für den Bereich Schiene an sich binden.
Dabei steht der volkswirtschaftliche Nutzen beider Projekte in Frage. Das Bundesverkehrsministerium hat bereits vor wenigen Wochen eine Liste vorgestellt mit Bedarfsplanvorhaben die dafür zurückgestellt werden müssen. Der für die weitere positive Entwicklung des Schienengüterverkehrs benötigte viergleisige Ausbau der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel, erhält laut der Liste nur 117,5 Millionen Euro bis 2020, obwohl das Projekt insgesamt 4 Milliarden Euro benötigt und laut einem Staatsvertrag mit der Schweiz bis 2017 komplett realisiert sein soll.
Die kürzlich bekannt gewordene Kostensteigerung von 865 Millionen Euro bei der Neubaustrecke Wendlingen – Ulm würde dafür sorgen, dass bei einer pünktlichen Inbetriebnahme zum Dezember 2019 der Finanzbedarf sich in dem Zeitraum 2016 – 2019 nochmal verdoppeln würde. Was dazu führt, dass die Hälfte der zur Verfügung stehenden Bundesmittel für den Neu- bzw. Ausbau der Schiene, während dieses Zeitraums nur in dieses eine Großprojekt fließen.
Außerdem könnte die Entscheidung zur Übernahme der zu erwartenden Mehrkosten dem Bund teuer zu stehen kommen, was wiederum gravierende Folgen für die weitere Entwicklung des Schienengüterverkehrs hätte. Zwar fordern die verantwortlichen Politiker immer wieder, dass mehr Güter auf der Schiene transportiert werden sollen, wenn es aber um die Schaffung der dazu nötigen Infrastruktur geht, ist die Forderung schnell wieder verflogen. So stauen sich im Bundesverkehrswege Ausbauplan immer mehr sinnvolle Projekte für den Schienengüterverkehr, denen die wenigen Mittel durch sinnbefreiten Großprojekte weggenommen werden. Besonders im Seehafenhinterlandverkehr und auf den europäischen Transitachsen drohen massive logistische Engpässe, die nicht nur die Klimaschutzziele der Bundesregierung gefährden, sondern auch den Wirtschaftstandort Deutschland.
Sollten die Kosten noch weiter steigen, wie im Gutachten von Viregg und Rössler beschrieben, ist eine Realisierung bis Ende 2019 nicht möglich, sollte die schlimmste Annahme, wegen explodierender Tunnelkosten eintreten, mit Gesamtbaukosten bei der Neubaustrecke von 10 Milliarden Euro, müsste sich die Inbetriebnahme über das Jahr 2030 hinaus ziehen, weil schlicht und ergreifend die Mittel zur Deckung der Mehrkosten für eine frühere Realisierung nicht reichen. Dabei muss man Berücksichtigen, dass die Neubaustrecke und Stuttgart 21 nur zusammen in Betrieb genommen werden können. Solange beide Projekte nicht vollständig realisiert sind, muss die vorhandene Infrastruktur bestehen bleiben, da sonst viele Bahnverbindungen aufgrund fehlender Schienenwege nicht mehr verkehren können und die mangelhafte Infrastruktur von Stuttgart 21 kaum andere Fahrpläne ermöglicht.
Das Interesse der Bahn an einer späteren Realisierung sollte man auch nicht unterschätzen, da sie mit den Erlösen aus dem Verkauf der Grundstücke auf Gelände des Kopfbahnhofes noch länger wirtschaften kann und weitere ertragreiche Direktvergaben im Nahverkehr warten.