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Stuttgart 21 – demokratisch legitimiert?

05.09.10 (Allgemein) Autor:Sven Steinke

Mit der Frage ob Stuttgart 21 demokratisch legitimiert ist, setzt sich ein Artikel des Network of World-Wide Projects e.V. auseinander. Der Artikel ging gestern mit dem Wunsch auf weitere Verbreitung in unserer Redaktion ein. Wir haben uns erstmal mit dem Artikel auseinander gesetzt und finden, dass es der Autor sehr gut geschafft hat den Sachverhalt um das Projekt Stuttgart 21 neutral darzustellen und anschließend die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Deshalb veröffentlichen wir die PDF-Datei, die uns Jens Loewe (NWWP) hat zukommen lassen, an dieser Stelle.

NWWP: Stuttgart 21 – demokratisch legitimiert?

Da sich nicht jeder das komplette Dokument anschauen wird, hab ich die Antworten auf die Frage ob Stuttgart 21 demokratisch legitimiert ist, an dieser Stelle nochmal angehängt. (Auszug aus der PDF-Datei)

? Das gegenwärtige Projekt S21 ist demokratisch nicht legitimiert, weil die von den Betreibern zitierten politischen Gremien ein Projekt entschieden haben, dem andere Kosten, Fakten und andere Planungsgrundlagen zugrunde lagen.

? Da die Planungen vor über 17 Jahren begannen, hätte zur Legitimation eine neuerliche Entscheidung erfolgen müssen, die die zwischenzeitlichen gesellschaftlichen Veränderungen und veränderten Wissensstände berücksichtigt.

? Es fehlt die Legitimation, weil Bürgerschaft und politische Gremien nicht transparent über Kosten und Risiken informiert und weil wesentliche Studien, Gutachten und Berechnungen geheim gehalten wurden.

? Es fehlt die Legitimation, weil politische Gremien und Entscheider in einer Weise mit wirtschaftlichen Interessen verflochten sind, die an der notwendigen Unabhängigkeit Zweifel aufkommen lassen.

? Es fehlt die Legitimation, weil der Denkmalschutz missachtet- und der Ausgang eines diesbezüglichen gerichtlichen Verfahrens nicht abgewartet wurde.

? Es fehlt die Legitimation, weil erkennbar und bekanntermaßen sachlich und fachlich schwere Probleme mit S21 zu erwarten sind, die es zu vermeiden gilt, vor allem dann, wenn man von ihnen Kenntnis hat.

? Es fehlt, und das steht im Mittelpunkt der Diskussion, die Legitimation durch die höchste Instanz, die Bürgerschaft selbst, die eine Entscheidung beansprucht hatte und weiter beansprucht. Eine Entscheidung, die auch durch das Versprechen des Oberbürgermeisters Schuster in Zusammenhang mit den Bürgermeisterwahlen 2004 hätte durchgeführt werden müssen.

Vor diesem Hintergrund entsteht der Eindruck, dass das Projekt S21 von den Projektbetreibern vor allem aus wirtschaftlichen Gründen forciert wird, begleitet von diversen Verflechtungen. Die Vorgehensweise der Projektbetreiber zeichnet sich zudem durch eine enorme Respektlosigkeit gegenüber der Bürgerschaft aus! Ihr Paternalismus zeigt, dass sie die Stimme der Bürgerschaft weder verstehen noch ernst nehmen. Wie sonst im Umgang mit Kleinkindern üblich, erklären sie öffentlich, was für die Bürger, deren Kinder und die Region gut ist. Würden Sie demokratische Prinzipien auch nur halbwegs ernst nehmen, müssten sie selbstverständlich dem Bürgerwillen folgen und eine Bürgerentscheidung organisieren.

Die Vorgehensweise der Projektbetreiber weist aber auch erschreckende Parallelen zu anderen Mega-Projekten rund um den Globus auf, bei denen es mittlerweile gang und gäbe ist, zur Durchsetzung der gesteckten Ziele die Bevölkerung zu täuschen und sie mit Militär- und Polizeigewalt in Schach zu halten.

Ähnlich wie in anderen Ländern gehen in Stuttgart zehntausende Bürgerinnen und Bürgern, die noch nie an Demonstrationen teilgenommen haben, auf die Straße, wie die Mütter von Plaza de Mayo in Argentinien mit ihren Kochtöpfen, weil sie offenbar darin die einzige Möglichkeit sehen, der Ignoranz und Überheblichkeit der Projektbetreiber etwas entgegensetzen zu können. Die Werkzeuge dieses Widerstands sind Gewaltfreiheit, Musik, Fantasie, Lyrik, Kerzen, Ideen, Verstand, Kreativität, Sensibilität, die Liebe zur eigenen Stadt, ihren Bauten und Bäumen, eine voraussichtlich bisher nicht gekannte Ausdauer und die Fähigkeit, auch zu tausenden sich selbst zu finden und zu führen. Es scheint, dass neben dem Widerstand gegen S21 in Stuttgart eine Bewegung der Selbstbestimmung entstanden ist, die weit über den eigentlichen Grund des Protestes und über die Grenzen der Stadt hinausgeht.

Eine Bewegung, die großartiger und bewundernswerter ist, als es das Tunnelprojekt jemals hätte sein können. Eine Bewegung, die der Oberbürgermeister durch seine Hartnäckigkeit erst ermöglicht hat und auf die er, wenn er es eines Tages so sehen kann, wirklich stolz sein wird, eine Bewegung, die mit Macht im Faust´schen Sinne aus jener Kraft entstand, die Tunnelröhren wollte und, tatsächlich unumkehrbar, Selbstbestimmung schafft.

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